Home
Verantwortung und Freiheit

Verantwortung und Freiheit

Verantwortung ist die Antwort auf Freiheit

Mit Menschen zu arbeiten ist meine Passion. Um meiner Aufgabe auch wirklich gerecht zu werden, habe ich gelernt, inne zu halten, zu beobachten, gelassen zu bleiben – und erst dann zu reagieren. In meiner Tätigkeit als Therapeutin kann ich das. Privat, na ja, das Leben hat mich gelernt, mein Temperament etwas zu zügeln. Es gelingt, meistens, aber nicht immer, ich kann mitunter schon auch ziemlich ärgerlich werden.

Die jetzige Zeit ist sicherlich nicht einfach. Für niemanden. Wir befinden uns wie in einer Wartehalle und warten auf das Ende der Pandemie. Niemand weiss, wann das sein wird. Und eigentlich weiss auch niemand, welche Massnahmen richtig und zielführend sind. Es geht jedoch jetzt nicht um richtig oder falsch, sondern darum, dass die Regierung Massnahmen „verordnet“ hat.

Freiheit für mich, Verantwortung für alle anderen

Ich kann wiederholt beobachten, dass es immer noch zu viele Menschen gibt, welche glauben, diese Massnahmen gelten nur für alle anderen. Menschen gehen zu dritt nebeneinander, und machen keine Anstalten, Platz zu machen, so dass social distancing eingehalten werden kann. Sie feiern Party’s auf dem Balkon, und ignorieren Empfehlungen. Diese Menschen denken vielleicht, dass ihnen persönlich sowieso nichts passieren wird. Sie halten sich nicht freiwillig an Präventionsempfehlungen und riskieren damit die Gesundheit von anderen. Sie wollen frei sein. Und sich nicht in ihrer Freiheit einschränken lassen. Was dazu führt, dass sie noch unfreier werden, weil sie jetzt die Quittung für ihr egoistisches Verhalten bekommen: Kontrollen werden verschärft, es gibt Verbote und vermehrt Polizei auf der Strasse.

Ist das wirklich notwendig? Ich frage mich, wo da die Solidarität und Verantwortungsgefühl sind? Ist es Ignoranz oder ein falsches Verständnis von Freiheit? Ich weiss es nicht. In meinem Verständnis heisst Freiheit nicht, dass jeder tun kann, was er will. Es gibt ungeschriebene und geschriebene Gesetze. Und es gibt Grenzen – und Freiheiten.

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will,
sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.

Rousseau

Dieses Zitat wird wohl missverstanden. Freiheit ist kein Freipass für Egoismus. Wirklich frei ist jemand, der nicht einfach macht, was er will, sondern bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zum Wohle aller zu treffen. So wäre es ideal. Mit Betonung auf wäre, denn davon sind wir weit entfernt.

Die Freiheit hört bei 2m auf, egal ob jemand an das Virus glaubt oder nicht.

Abstand aus Anstand

Folgendes Beispiel: Ich habe einen Hund. Er ist sehr lieb, gehorcht sehr gut, wir haben einen guten Rapport. Ich weiss, dass er niemanden beissen oder anspringen würde. Ich gehe mit ihm spazieren. Er ist nicht angeleint. Nun kommt mir jemand, welcher sich vor Hunden fürchtet, entgegen. Ich antworte ihm, dass mein Hund ihm nichts anhaben wird und unternehme weiter nichts. Glauben Sie nun, dass der betreffende Mensch, welcher sich vor Hunden fürchtet, nun keine Angst hat? Ganz sicher nicht. Als anständiger und respektvoller Mensch leine ich meinen Hund an. Das ist für mich selbstverständlich. Was hat das mit dem Virus zu tun? Menschen dürfen sich draussen bewegen. Mit social distancing. Da gibt es Menschen, welche auch unterwegs sind, und sich aber vor Ansteckung fürchten. Da ist es doch müssig, darüber zu diskutieren, ob jemand nun ansteckend sei oder nicht.

Hier hört für mich die persönliche Freiheit auf. Egal, ob jemand an das Virus glaubt oder nicht: Hier geht es um Respekt und Verantwortung. Abstand zu wahren hat viel mit Anstand zu tun! Aktuell geht es um den äusseren Abstand. Ich denke jedoch, dass Abstand aus Anstand ein ganz grundsätzliches Thema ist: es bedeutet achtsamer und sorgfältiger zu sein. Im äusseren Rahmen wie auch im übertragenen Sinn.

Verantwortung zu übernehmen ist eine freiwillige Entscheidung

Wir Menschen leben in Gemeinschaften. Unser Verhalten und Handeln wirken sich, direkt oder indirekt auf unser Umfeld aus. Die Freiheit besteht darin, dass wir alles tun können, solange es einem andern nicht schadet. Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass ich mich anderen gegenüber so verhalte, wie ich es mir für mich wünsche.

Verantwortung für sein eigenes Verhalten zu übernehmen, bedeutet, Einsicht zu zeigen. Es bedeutet auch, dass wir uns einer gesellschaftlichen und moralischen Pflicht bewusst sind. Verantwortung zu übernehmen ist Zeichen der Wertschätzung einer Person oder auch einem Objekt gegenüber. Wir sind also nicht nur uns selbst gegenüber verantwortlich, sondern auch einem Menschen, der Gesellschaft und dem System gegenüber.

Wie wäre es, wenn Menschen sich dafür entscheiden, Verantwortung freiwillig zu übernehmen? Einfach auch als Respekt ihren Mitmenschen gegenüber? Wie wäre es, wenn sie Verantwortung nicht als Einschränkung betrachten würden? Sie können immer noch vieles tun, es ist nur eine Frage der Perspektive. Sie können jammern, weil sie dies und jenes jetzt nicht tun können/sollen. Sie könnten sich aber auch überlegen, was sie stattdessen tun könnten. Das ist immer noch sehr viel.

Mir hat vor vielen jemand einmal im Spass über die Schweizer gesagt: „Alles, was man in der Schweiz nicht freiwillig macht, ist Gesetz“. Er hatte nicht so unrecht. Menschen verlernen immer mehr, die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen. Dies führt zu massiven Folgen für die Gesellschaft. Fähigkeiten wie „Mitgefühl“, „Rücksichtnahme“ oder „Hilfsbereitschaft“ sind nicht nur respektvolle, sondern überlebenswichtige Werte einer Gesellschaft. Diese Werte sind in Gefahr. Die Tendenz läuft immer mehr Richtung Egotrend.

Verantwortung kann also freiwillig übernommen werden, oder sie wird einem auferlegt. Die Perspektive hängt an zwei kleinen Wörtern: müssen oder wollen. Müssen hat viel mit unfreiwillig zu tun, während wollen einer freien Entscheidung zugrunde liegt.

Verantwortung und Freiheit beissen sich.

Diese Annahme stimmt nicht.

Es scheint, als seien Freiheit und Grenzenlosigkeit für viele Menschen Synonome. Gerade der Freiheitsbegriff ist in aller Munde: Meinungs- und Religionsfreiheit, Redefreiheit, Handlungsfreiheit, um nur einige Freiheiten zu nennen. Freiheit über alles!

Wäre es nicht anzustreben, ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Extremen „Freiheit“ und „Verantwortung“ herzustellen? Was bedeuten denn diese beiden Begriffe? Sie scheinen vordergründig gegenteilig. Man kann nicht frei sein, wenn man Verantwortung übernimmt, und umgekehrt. Bedeutet Freiheit Grenzenlosigkeit und Uneingeschränktheit? Bedeutet Verantwortung eine Bürde oder Last zu tragen? Kann es sein, dass diese beiden Gegenspieler doch mehr miteinander zu tun haben, als es den ersten Anschein macht.

Ist Verantwortung der Preis für Freiheit? Ich denke, nur für Egoisten. Für alle anderen nicht.

Freiheit und Verantwortung sind wie ein Geschwisterpaar.

Sie sind untrennbar miteinander verbunden

Beide Begriffe bedingen einander. Sie sind untrennbar miteinander verbunden. Ich betrachte Freiheit als enorme Verantwortung, sie kann sogar eine Bürde sein. Die Freiheit ermöglicht mir, eigene Ziele zu verfolgen, die Bürde ist, dass ich mich falsch entscheiden könnte. Und dafür muss ich die Konsequenzen tragen. Freiheit hat demzufolge viel mit Eigenverantwortung zu tun.

Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit.
Das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fürchten.

George Bernard Shaw

Freiheit ist ein starker, tiefer Antrieb der Menschen. Wer möchte nicht frei von einengenden Zwängen, frei von finanziellen Sorgen, frei von starren Regeln und lästigen Pflichten, frei von ständiger Kontrolle etc. sein?

Freiheit von allen möglichen Dingen zu fordern, bedeutet auch, Verantwortung anzuerkennen. Mehr noch: es bedeutet auch, Eigenverantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Und, die Konsequenzen seines selbstbestimmten Arbeitens tragen. So kann niemand mehr die Verantwortung auf jemanden andern schieben, wenn etwas schief gelaufen ist.

Ihre Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.

Immanuel Kant

Ihre Freiheit endet dort, wo meine beginnt. Damit wir alle frei leben können, könnten, ist Respekt und Verantwortung vorrangig. Freiheit hat nichts mit fehlendem Respekt anderen gegenüber zu tun. Immer wieder höre ich Sätze wie: „Ich bin frei, ich tue was ich will“. Meines Erachtens ist dies ein völlig falsches Verständnis von Freiheit. Solche Menschen nutzen nicht ihre eigene Freiheit, sondern die der anderen.

Mit unserem masslosen Konsum zerstören wir die Umwelt. Wir verfügen selbstherrlich über die Materie und setzen Entwicklungen in Bewegungen, welche am Ende definitiv das Ende der Freiheit bedeuten. Freiheit bedeutet in meinem Verständnis, dass ich die Wahl habe, so oder anders zu handeln. Für meine Handlungen muss ich Verantwortung übernehmen, in dem ich Folgen und mögliche Konsequenzen in meine Überlegungen mit einbeziehe.

Freiheit ist eine Haltung – Verantwortung ist ihr Rückgrat

Freiheit ist ein Balanceakt zwischen Innen und Aussen. Zwischen dem Ich und dem Anderen. Freiheit ist eine geistige Haltung. Sie bedingt das Reflektieren der eigenen Person. Freiheit kann man nicht von Eigenverantwortung trennen. Wir haben einen freien Willen und wir können täglich neu entscheiden. Wir haben Talente und Fähigkeiten, über die wir selbst bestimmen können. Es liegt in jedem seiner eigenen Verantwortung, daraus etwas Sinnvolles zu machen.

Freiheit beginnt nicht im Aussen. Sie beginnt in uns. Das bedeutet, Lösungen für die täglichen Herausforderungen nicht im Aussen oder bei anderen zu suchen, sondern in uns selbst. Es bedeutet aber auch, dass wir nicht nach dem Motto leben: „Wo ich bin, ist vorn“. Sondern, dass wir nicht vergessen, dass Freiheit zu verantwortlichem Handeln verpflichtet. Dabei geht es weniger darum, das zu tun, was machbar ist, sondern vielmehr das zu lassen, was nicht zu verantworten ist. Freiheit ohne Verantwortung geht immer auf Kosten anderer. Freiheit hört dort auf, wo die Freiheit eines anderen verletzt wird.

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will,
sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.

J.J. Rousseau

Dabei geht er jedoch nur soweit,
dass er die Grenzen anderer nicht verletzt.

Isabella Uhlmann