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(K)Ein Plädyoer für graue Haare

(K)Ein Plädoyer für graue Haare

Mut zu Grau, Mut zu Farbe

Haarige Geschichten

Eine Haarfarbe erobert die Frauen: grau. Immer mehr Frauen präsentieren stolz ihr ungefärbtes, graues oder weisses Haar. Für viele Frauen ist dies Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins. Sie emanzipieren sich gegen ein doch mittlerweile veraltetes Schönheitsideal. Stimmt das?

Was assoziieren Sie zur Farbe Grau? Steht grau als Symbol für Alter, Pessimismus, Trübsinn und unscheinbar? Unscheinbar im Sinne von grauer Maus?
Ich sehe in grau eine edle Farbe: sie ist nüchtern, strukturiert, klar und sie lässt viele farbliche Kombinationsmöglichkeiten zu.

Mich interessiert nicht, was gerade "in" ist

Ich habe mich nie an das, was modern ist, oder was eben nicht modern ist, gehalten. Ich tue einfach gern, was mir gefällt. Wenn ich mich schminke, tue ich das nicht, um etwas zu kaschieren, sondern weil es mir Freude macht. Meine langen aschblonden Haare habe ich mit Pflanzenfarbe in ein "Bronze" umgewandelt, einfach, weil es mir gefallen hat. Und ich bin aufgefallen…meine bronzefarbenen Haare waren mein Markenzeichen.

Die ersten grauen Haare bekam ich schon mit 35. Als ich fünfzig wurde, kam der Punkt, an dem ich mir überlegen musste, ob ich noch weiter mit Pflanzenfarbe tönen möchte, weil aus dem schönen Bronze immer mehr ein knalliges Orange wurde. Das hat mir nicht mehr gefallen, und chemische Farbe kam für mich nicht in Frage. Also: Haare schneiden und herauswachsen lassen. Ich kann nicht gerade sagen, dass ich mir in dieser Zeit gefallen habe, aber da musste ich durch. Das Resultat war ein sehr schönes Weissgrau. Ich war begeistert. Die Umstellung war für mich zu keinem Zeitpunkt eine Mutfrage, denn wer hat schon lange, dicke und graue Haare? Und wieder falle ich auf… grau ist mein neues Markenzeichen.

Das beste Schönheitsmittel: Autenthisch sein

Es braucht Mut zu sich zu stehen

Als ich mich entschloss, mit Pflanzenfarbe aufzuhören und dem Grau eine Chance zu geben, habe ich gelernt, wegzuhören: Da gab es weibliche Stimmen, welche mich warnten und mahnten und mir weibliche Unsichtbarkeit und optischer Vergreisung prophezeiten. Als meine graue Haarpracht in einer gewissen Länge erreichte, empfahl man mir dringend, die Haare zu schneiden: graue Haare trägt man kurz. Wer sagt das? Ich bin keine Kurzhaarfrau, und mir gefallen lange Haare, und was schert mich, was andere sagen… Ich kam meiner Vision, welche ich schon als junge Frau hatte, nämlich, wenn ich älter bin, einen langen weissen Zopf und rot geschminkte Lippen zu haben, immer näher… und ich bin glücklich darüber.

Schmunzeln muss ich dann, wenn mich wildfremde Menschen auf meine Haare ansprechen und mich fragen, weswegen ich so schöne Haare weiss färben würde…

Grau zu werden ist nicht schwer, älter sein dagegen sehr...

Der "Granny look"ist aktueller denn je. Vor allem bei den jungen Frauen. Irgendwie ist das schon etwas paradox: Bei jungen Frauen ist grau "in", während die natürliche Haarfarbe grau bei älteren Frauen eben als altmachend gilt. Ich sehe überall Werbung für graue Haare mit jungen Modells, welche weder Falten noch Altersflecken etc. haben. Weswegen nimmt man nicht das Gesicht einer reifen Frau für die Werbung?

Fuck the Falten

Die Werbung trieft von Angeboten: xxx reduziert Falten, Kampf den Falten, mit diesen Tipps sehen Sie noch lange jung aus etc. Damit wird still und leise eine distanzierte Haltung zum alt sein induziert. Ein verstecktes Negativurteil. Auch die Haare sollen nicht grau oder weiss sein.

Ich leugne nicht, dass sich der Körper verändert. Auch nicht, dass der Körper im Alter etwas anfälliger wird. Dennoch vermittelt die Werbung, dass "grau und faltig" Dinge sind, die man besser vermeiden sollte.

Mir scheint, es ist ein Paradoxon: wir halten uns für emanzipierte und moderne Frauen. Da könnte man sich schon fragen, ob es nicht ein Rückschritt in eine andere Generation ist, sich die Haare zu färben. Könnte es sein, dass das Haare färben eine Art Anpassung ist? Geht es nicht darum, zu den Spuren des Lebens zu stehen und stolz darauf zu sein.

Trotz(t) dem grauen Haar

Den Alterungsprozess können wir nicht vermeiden.

Letztendlich geht es nicht um graue oder weisse Haare, denn das sind Äusserlichkeiten. Vielmehr geht es um die Verknüpfung damit. Älter werden wollen alle, aber alt sein, na ja, lieber (noch) nicht. Die Formulierung "alt sein" hat für viele einen komischen Beigeschmack. Wir wollen nicht alt aussehen, nicht alt und hässlich sein. Da sind wir schon lieber jung und schön. Jung zu sein, bedeutet schön zu sein, tüchtig und erfolgreich, während die Alten im Abseits stehen.

Was man unter Alter versteht, ist eine Frage der eigenen Perspektive. 80-Jährige nehmen anders war, als dies 50-Jährige oder 18-Jährige tun. Älter sein ist mehr als nur Spazierengehen, Kartenspielen oder Enkel hüten. Die älteren bringen einen grossen Rucksack, gefüllt mit Erfahrung und Wissen mit. Es ist zwingend nötig, dass wir ein anderes Bild über Alter entwickeln: Alter lässt sich weder mit Färben der Haare, noch Lifting oder Botox aufhalten noch kaschieren. Das Bild lässt sich nur verändern, wenn wir das Alter mit einem positive(re)n Blick betrachten. In Tansania werden ältere Menschen mit einer speziellen Grussformel gegrüsst. Man sagt älteren Menschen nicht einfach "Mambo", sondern "Shikamoo. Shikamoo ist eine respektvolle Begrüssung, mit welcher jüngere ältere Menschen begrüssen.

Zugegeben: die Kunst des älter Werdens will gelernt sein. Ich bin 65, grau, älter. Und ich fühle mich mitten im Leben. Wenn immer ich auf meine weissen Haare angesprochen werde, sage ich: graue Haare sind Strähnen der Weisheit (diesen Spruch habe ich einmal gelesen und er hat mir einfach gefallen). Das sind für mich mehr als Worte: ich kann auf 65 Jahre Erfahrung zurückblicken, und all diese Erfahrungen haben mich geprägt. Jede graue Strähne und jede Falte stehen für eine Geschichte.

Alt sein ist ein herrlich Ding, wenn man nicht verlernt hat,
was anfangen heisst.

Martin Buber

Alles ist Einstellungssache, auch das Alter

Viele alte Menschen stehen mitten im Leben. Sie wirken zeitlos jung. Voraussetzung ist immer Gesundheit. Häufig verläuft unsere innere Entwicklung konträr zur äusseren. So erlebe ich es in meinem Umfeld und auch bei mir.

Äusserlich ist mein Alter sichtbar. Innerlich fühle ich mich zu jung um alt zu sein.

Man braucht lange, um jung zu werden.
Pablo Picasso

Besser ausdrücken könnte ich nicht, wie ich älter werden/sein erlebe.

Erlaubt ist, was gefällt

Dies ist kein Plädoyer für oder gegen graue Haare. Wenn eine Frau von siebzig Jahren ihre Haare rot färbt, weil sie es einfach toll findet – und nicht, weil sie grau kaschieren will – finde ich persönlich das toll.

Für mich ist es ein Unterschied, ob jemand seine grauen Haare färbt, weil grau mit "alt-Sein" assoziiert wird, oder ob jemand einfach Freude an Farbe hat. Wenn grau mit alt-sein assoziiert wird, kann derjenige spätestens dann, wenn Falten kommen und die Schwerkraft den Körper einholt, der Auseinandersetzung des älter Werdens nicht mehr entfliehen. Dies ist einerseits eine Angelegenheit jedes einzelnen, und anderseits gesellschaftliches Thema. Ich möchte dazu beitragen, dass das Alter eine grössere Wertschätzung erfährt.

Dies beginnt zuerst bei mir selbst. Ich betrachte älter werden/sein als Privileg und als Abenteuer. Neue Räume und Möglichkeiten tun sich auf, ich kann Dinge tun, welche ich schon immer tun wollte, ich muss mich nicht (mehr) beweisen. Dennoch hörte ich schon Sprüche bezüglich meiner grauen Haare, ich würde nun zum alten Eisen gehören. Ich erlebe es anders. Jedes Leben hat verschiedene Lebensphasen. Wenn eine neue Lebensphase beginnt, ist das ein Neuanfang. So auch die Pensionierung. (Ich arbeite zwar immer noch viel, aber ich müsste nicht. Mir macht meine Arbeit einfach auch viel Spass). Dieser Neuanfang, der neue Lebensabschnitt bringt viele positive Herausforderungen, ich kann Welt und mich neu entdecken. Ich liebe mein Alter mit all seinen Qualitäten und Möglichkeiten!

Wenn ich alt bin, möchte ich nicht jung aussehen, sondern glücklich.
Sonja Brückner

Graue Haare sind eine äusseres Merkmal, mehr nicht

Das bedeutet jedoch nicht, dass grau nach innen abfärbt. Meine Welt ist bunt und farbig. Und ich entdecke mich immer wieder neu. Ich möchte Frauen Mut machen, sich selbst zu finden, in dem sie zu ihrem Stil und ihren Vorlieben stehen. Egal was gerade "in" ist. Ich möchte aber auch Mut machen, dass älter werden als Prozess der Reife zu betrachten und nicht als Abstieg.

Haben Sie Mut! Stehen Sie zu Ihrem Alter, zu Ihren Falten, Altersflecken und grauen Haaren,
denn sie sind Ausdruck eines gelebten Lebens.
Stehen Sie dazu, wenn Sie Lust haben, im Alter Ihre Haare lang zu tragen, oder zu färben.
Einfach weil es Ihnen gefällt.
Finden Sie heraus, wer Sie sind und was Ihnen gefällt, und nicht,
was die Gesellschaft vorgibt.

Mit der Zeit gehen

Damit ist nicht nur gemeint, den Fortschritten und Möglichkeiten der Technik, der Gesellschaft und der Zeit schlechthin zu folgen. Vielmehr meine ich, mit seiner eigenen Zeit zu gehen, zu den Veränderungen des Körpers zu stehen, seien dies jetzt Falten oder graue Haare. Die heutige Technologie bietet viele Möglichkeiten, damit man jünger aussehen kann, als man ist. Ist das nicht ein Stück Selbstbetrug? Wer legt denn fest, was Schönheit ist? Die Gesellschaft... oder Sie?

Die Authentizität verleiht den Menschen Schönheit. Ich liebe es, Gesichter zu betrachten, welche vom Leben geprägt sind. Es sind wundervolle und echte Gesichter.

Weisses, weises Haupt

Wie schön wäre es, wenn wir das alt werden/sein als grosse – sicher manchmal auch schwierige – Herausforderung betrachten könnten. Und wenn wir darin auch die Chance, etwas Neues und Wunderbares zu erleben, erkennen könnten. So würden wir das älter werden/sein mit wichtigen Grunderfahrungen verknüpfen: älter sein ist keine Sackgasse, vielmehr ist es ein Durchgangsort. Wie schön wäre es, wenn die Gesellschaft und jeder einzelne, das älter sein so darstellt, als dass seine schönen und bedeutungsvollen Seiten genauso gewichtet werden, wie alle anderen Lebensetappen. Für mich hat das viel mit Würde zu tun.

So stellt sich mir nicht die Frage, ob ich Mut zu grauen Haaren habe, sondern vielmehr, ob ich den Mut habe, zu mir zu stehen und mich dem Abenteuer älter werden zu stellen. Ich erfülle die äusseren Kriterien des älter seins: ich habe Falten und graue Haare. Auf dem Papier bin ich 65 Jahre alt und man sieht mir mein Alter an. Das gefühlte Alter ist wesentlich jünger. Das zählt für mich, weil dieses innere Gefühl mich neugierig, offen und "jung" sein lässt. Ehrlich gesagt: Ich fühle mich zu jung um alt zu sein.

Auch er steht auf grau

Man muss ja nicht immer alles tierisch ernst nehmen

Franklin ist mein Hund. Man sagt ja, dass der Hund immer eine Ähnlichkeit mit seinem "Herrchen" hat. Ich bin zwar Frau, und grau, aber wir passen doch gut zusammen, oder nicht?

Fazit

Mit Töpfchen, Farbe und Botox kann man den Atlerungsprozess nicht aufhalten. ich persönlich bin überzeugt, dass wahre Schönheit von innen kommt. Die innere Haltung zu uns, zu unserem Körper und unserem älter werden ist das beste Schönheitsmittel. Was meinen Sie?