Home
Rück - Blick Mai 2020

Rück - Blick Mai 2020

Neue Sichtweisen, neue Erkenntnisse, neue Möglichkeiten

MAI - I AM

Nicht, was wir sehen,
wohl aber wie wir sehen,
bestimmt den Wert des Geschehens.

Blaise Pascal

Ich liebe den Mai. Er ist die Tür zum Sommer. Die Tage werden länger, wärmer und es grünt überall. Das ist meine Zeit. Draussen sein, die Natur beobachten und geniessen.

Während ich darüber sinnierte, was ich im Mai-Rück-Blick schreiben möchte, ist mir aufgefallen, dass MAI rückwärts gelesen I AM heisst. Ich bin (noch, oder wieder), obwohl auch meine Welt durchgerüttelt wurde. Weiter fällt mir auf, dass auf Italienisch „nie“ „mai“ heisst. Diese beiden Begriffe, „I am“ und „mai“, sind für den Monat Mai sehr bezeichnend. Und die Erfahrung, dass jede Veränderung im Kopf beginnt.

I am - ich bin

Ich bin das, was ich aus meinem Leben mache

Erfolg oder Misserfolg liegen in der Macht meiner Gedanken: Ich bin glücklich. Ich bin zufrieden. Ich bin dankbar, oder ich bin frustriert, etc.  In der chinesischen Medizin sagt man, dass Energie immer der Absicht folgt. Also liegt es an mir, in welche Richtung ich meine Gedanken lenke. Im April und im Mai habe ich festgestellt, dass meine Gedanken oft eher dunkel und pessimistisch geartet waren. Dies, obwohl ich sonst immer optimistisch bin. Zu sehr habe ich mich vom aussen beeinflussen lassen. Es ist mir wieder bewusst geworden, dass ich das bin, was ich denke. Dass ich mich wieder vermehrt mir zuwenden sollte. Weder zynische Berichte und Äusserungen, noch  düstere Stimmungsbilder und Ängste von anderen sollten mich so sehr beeinflussen, wie dies in den letzten Wochen der Fall war. Und zwar mehr, als ich dachte.

Dabei schliesse ich nicht mein Mitgefühl für all Jene, welche das Leben nun hart getroffen hat, aus. Ich habe einfach festgestellt, dass, wenn ich dem Aussen zu viel Raum gebe, ich mir mein eigenes Gefängnis aufbaue. Ein Gefängnis voller negativer Emotionen und Gedanken. Das wollte ich nicht zulassen.

Mir kommen gerade die Worte von Elizabeth Gilbert (eat, pray, love) in den Sinn: „Man muss sich ständig selbst befreien und man muss sich jeden Tag selbst befreien."
I am, ich bin, ist die Kraft, welcher ich mich wieder vermehrt zuwenden möchte. Das bedeutet, bei mir zu bleiben, und mich zu fragen, wie es MIR geht und was ich brauche oder tun kann, damit es mir besser geht. Damit ich sein kann, wozu ich bestimmt bin. Und nicht das, was aus mir gemacht wird – oder ich aus mir lassen mache.

Grosses Privileg

Trotz Krise befinde ich mich in der glücklichen Lage, mich in Ruhe meiner Zukunft, meinen Plänen und meinen Hobbys widmen zu können. Dies, ohne mir über meine finanzielle Situation oder Existenz Gedanken machen zu müssen, da die Praxis und die Ausbildungen gut besucht sind. Dass das nicht selbstverständlich ist, das weiss ich. Umso dankbarer bin ich für dieses Privileg.

Ich denke, also bin ich

Grundsatzfragen über die Welt und mich

Im Mai hatte ich viel Zeit für Selbstreflexion. Was denke ich über die Welt und über mich? Wer bin ich überhaupt? Bis anhin glaubte ich, mehr oder weniger zu wissen, wer ich bin, wie ich ticke etc.

Ich blickte in mich hinein und versuchte, mit mir allmählich bekannter und vertrauter zu werden. Dabei habe ich entdeckt, dass ich mich seit dem Lockdown wie in einem Funktionsmodus befunden habe. Diese Erkenntnis hat mich erstaunt und betroffen gemacht. Und jetzt befinde ich mich im Landeanflug in die Realität, was viele Emotionen aktiviert. Aber: iIch BIN! Mich gibt es. Nur, dieses „ich bin“ hat eine ganz neue Dimension bekommen: Die Erkenntnis, dass sich mein Leben so gestaltet, wie es ich (zum Teil auch unbewusst) denke, hat mich sehr beschäftigt, berührt, manchmal auch erschüttert.

Das Wort „ich“ bereitete (und bereitet) mir oft Mühe, weil ich dazu Ego assoziiere. Ich, ich, ich… Das sind für mich oft Menschen ohne Empathie und mit einem Hang zu Narzissmus. Nun hat „ich“ für mich persönlich eine neue Qualität bekommen. Dies in dem Sinne: ich existiere, es gibt mich, bescheiden und ohne grandiosen Auftritt auf der Weltbühne. Ich habe ein Bewusstsein, und ich bin das, was ich denke und aus mir mache. Das Wissen um diese Konsequenz hat mir neue Welten – und somit neue Perspektiven eröffnet. Nicht, dass dies völlig neu wäre, aber ich erfahre gerade eine neue Dimension.

Höhenflüge, aber zu Fuss

Auf dem Berg, gemeinsam mit meinem Mann und unserem Hund unterwegs sein. Wir konnten immer höher hinauf steigen, da sich die Schneegrenze wegen der hohen Temperaturen nach oben verschoben hat. Bewegung tut mir einfach gut, ich kriege dabei den Kopf frei und kann Dinge neu bedenken. Die wirklich kreativen und guten Ideen kommen mir meistens dann, wenn ich in Bewegung bin.

Wenn ich die wunderschöne Natur sehe, geht es mir einfach nur gut. Dinge relativieren sich, ich kann mich von Schwierigem distanzieren und finde sehr schnell wieder zu meiner Mitte.
Wir haben neue Touren unternommen und waren in uns noch unbekannten Gegenden. Wir sahen die ersten Murmeltiere und noch nie habe ich den Bergfrühling so intensiv, wie dieses Jahr erlebt.

Kein Mensch ist ohne Grund in meinem Leben.

Der eine ist ein Geschenk, der andere eine Lektion

Eine Enttäuschung ist die Befreiung von einer Täuschung. Sagt man. Tönt aber einfacher als es ist. Manche Freundschaften halten ein ganzes Leben lang. Andere Freundschaften halten offensichtlich nur für einige Etappen meines Lebensweges. Gewisse Beziehungen kamen an den Punkt, wo ein weiterer Kontakt nicht mehr möglich war. Weltbilder und Lebenshaltungen drifteten zu sehr auseinander.

Kennen Sie das Zitat: „Manche Menschen zeigen ihr wahres Gesicht erst, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen“. Leider war das für mich nicht nur ein Zitat, sondern auch eine bittere Erfahrung. Menschen, welche ich zu kennen glaubte, zeigten ihr anderes Gesicht. Ich würde jetzt nicht sagen, ihr wahres Gesicht, denn Menschen leben verschiedene Aspekte. Jedoch ist es schwierig, wenn ein Mensch nicht das tut, was er sagt. Wenn er Wasser predigt, selbst aber Wein trinkt. Damit kann ich nicht umgehen, will ich auch nicht.

So war der Monat Mai ein Monat des Loslassens. Alte Freundschaften zu lösen ist ein Prozess, und keine spontane Entscheidung. Manchmal ist es einfach Zeit, Dinge hinter sich zu lassen, so schmerzhaft oder traurig das auch sein mag.

Ich bin wieder da!

Endlich darf ich wieder arbeiten

Wie ich mich darauf und darüber freue. Dennoch bedeutet die Öffnung nicht Normalität. Jedenfalls nicht, was ich unter Normalität verstehe. Überall wird von „der neuen Normalität“ gesprochen oder geschrieben. „Die neue Normalität“ ist in meinen Augen das Unwort des Jahres.

Für mich wird es nie normal sein, Abstand zu Menschen, welche ich liebe und welche mir wichtig sind, zu halten. Da sind keine unbefangenen Begegnungen möglich, weder im Privaten noch in meiner Arbeit. Mag sein, dass unsere Normalität sich verändert. Sogar höchstwahrscheinlich. Denn, SOLLTEN wir uns irgendwann wieder so unbefangen mit Menschen treffen können, werden wir dem ziemlich sicher noch mehr Bedeutung zollen als vorher. Mir geht es jedenfalls so.

Manchmal kommt es anders

... und zweitens als man denkt

Die Öffnung bereitete mir aber auch etwas Bauchweh:

  • Wie werden die Klienten auf die Maskenpflicht reagieren?
  • Wie wird es mir damit gehen?
  • Wird meine Arbeit – und die Qualität derselben - noch dieselbe sein? Oder gibt es durch die Maske eine ungute Distanz?

Viele Gedanken um nichts. Die Klienten haben so toll reagiert, waren flexibel und setzten ihre Prioritäten: sie kamen wegen Therapie. Maske hin oder her. Praktisch niemand sagte die Sessions ab.

Trotz Maske kann der Klient*in in meinem und ich in seinem Gesicht lesen. Die Augen und der Körper sprechen auch eine Sprache. Die ersten Male mit Gesichtsmakse waren zwar etwas irritierend. Dieses Gefühl hat sich schnell gelegt.

Schwieriger ist es, gewisse Dienstleistungen so nicht mehr anbieten zu können, wie ich es gern mache: Decken und Kissen zur Verfügung zu stellen, Wasser aus dem Glas zu geben, den Klienten zuzudecken, oder ihn auch mal zu berühren…

In den Sitzungen wurde auch klar: Corona beschäftigt die Menschen. Bei so manchen wurden Themen angetriggert, seien es Angststörungen, Depressionen oder völlige Neuorientierungen, welche nun angesagt sind. Und so manche Menschen haben nun sehr schwierige Situationen. Corona ist eindeutig mehr als nur ein Virus. So einige Menschen werden in ihren Grundfesten erschüttert.

Wir sind da, auch wenn wir nicht da sind

Wie sehr vermisste ich unsere Familie und Freunde, den direkten Kontakt, Umarmungen und einfach die Nähe zu ihnen. In diese Zeit fiel auch der Muttertag: wir konnten uns nicht treffen.

Aber: Unsere Kinder feiern mit uns nicht Muttertag, sondern „Mapi-Tag“. Sie fragen sich, was Mapi bedeutet? Als unsere Kinder klein waren, haben sie, wenn sie mich und meinen Mann meinten, eben nicht Mami und Papi gerufen, sondern Mapi. Da der Vatertag doch eher zu kurz kommt, und wir alle fanden, Vater sollte auch gewürdigt werden, hat sich der Muttertag eben zum Mapitag gewandelt. Dieses Jahr auf Distanz, und dennoch so nah: Unsere Kids haben gemeinsam mit den Schwieger- und Enkelkindern ein kleines Filmchen gedreht: mit Ausschnitten von den vergangenen Jahren, mit Musik, mit Worten… wenn es nicht zu persönlich wäre, ich würde ihn am liebsten hier online stellen.

So waren sie alle ganz nah bei uns. So eine Familie, solche Kinder zu haben, was für ein Geschenk!

Die Lockerungen locken

Endlich ist es soweit, wir können uns mit den Menschen, welche wir gern haben, wieder treffen. Es war toll, mit Freunden  Bergwanderungen zu machen, oder zu picknicken, sich auszutauschen und zu lachen. Wenn auch mit Distanz, was schon irgendwie komisch war. Normalerweise umarmen wir uns. Es war irritierend, darauf zu achten, dass man niemandem (körperlich) zu nahe kommt.

Es ist eine Gewohnheitssache, und es ist besser als die häusliche Isolation. So betrachte ich das zumindest. Dennoch hoffe ich, dass es nicht so bleibt. Dass man sich irgendwann - oder lieber noch, bald - ohne social distancing, treffen kann.

Im Team kreativ sein

unsere neue Tansania-Webseite nimmt allmählich Form an

Auch wenn mich der Computer oft ärgert, aber ich liebe es, Webseiten, Flyer und Prospekte zu gestalten. Zusammen mit meinem Mann und unserem Team ist dies ein sehr kreativer Prozess. Jeder trägt seinen Teil bei - jeder hat seine Fähigkeiten und Talente. Und zusammen (er)schaffen wir etwas wunderbares.

Mit Afrika, Tansania, assoziiere ich Farbe und Buntheit. (Natürlich auch Armut und Leid, aber darum geht es hier nur indirekt). Noch nie habe ich in eine Webseite so viel Farbe eingebaut… aber es passt einfach.

Mit dem Suchen nach geeigneten Fotos sind auch viele schöne, glückliche, traurige und schwiergie Erinnerungen aufgekommen. Tansania und seine Menschen nehmen einen grossen Platz in meinem Leben ein.

Mai hat noch eine andere Bedeutung:

„nie“ heisst auf Italienisch „mai“. "Nie" hat im Mai enorm an Bedeutung gewonnen. Nicht im negativen Sinne, sondern durchaus positiv: Nie mehr werde ich Dinge als selbstverständlich anschauen. Nie mehr wird es für mich selbstverständlich sein

  • mich, wann immer ich will, mit Familie oder Freunden zu treffen
  • Seminare anbieten und diese auch durchführen können
  • „einfach“ so mal einzukaufen
  • mich draussen frei zu bewegen, sei es zu Fuss oder mit Reisen
  • Menschen, welche ich liebe, umarmen zu dürfen.

Meine Welt wird nie mehr so wie vorher sein. Leben heisst Veränderung  und das ist nicht immer bequem oder gar einfach. Meine Beweglichkeit und meine Fähigkeit mich Gegebenheiten anzupassen, sind gefragt und gefordert. Anpassung nicht in dem Sinne, einfach den Kopf einzuziehen. Nein, vielmehr möchte ich mich den Herausforderungen stellen und Neues kreieren. Das heisst, dass ich meine Energie nicht in das, was nicht mehr ist, oder ich nicht mehr habe, verpuffe. Meine Energie ist besser investiert, wenn ich sie in das, was ich noch alles entdecken und bewerkstelligen kann, lenke.
Ich komme an dieser Stelle auf das Zitat vom Beginn zurück: "Nicht, was wir sehen, wohl aber wie wir sehen, bestimmt den Wert des Geschehens." Ich mag mich nicht im Negativen aufhalten, sondern versuche, in jeder Situation etwas positives zu sehen. In der Therapie sagt man dem "reframing": etwas in einen anderen Kontext zu stellen. Die Vergangenheit kann ich nicht ändern, aber meine Gegenwart und damit das, was vor mir liegt.

Juni - Ausblick

Was ich sicher weiss, ist, dass ich im Juni einen Teil der verschobenen Hypnose- Ausbildungsmodule nachholen und durchführen kann. Endlich. Ich freue mich auf’s Unterrichten, freue mich auf die Teilnehmer*innen und auf das tolle Zusammenarbeiten.

Neue berufliche Ausrichtungen werden im Juni sicherlich konkreter.

In Aussicht haben wir schöne Bergwanderungen, welche nicht mehr wegen Schnee unmöglich sind. (Wären sie für meinen Mann und mich ja nicht, aber mit Franklin (unser Hund) wäre das zum Teil schwierig).

Was der Juni nicht bringt: Seit vielen Jahren werde ich zum ersten Mal im Juni nicht in Tansania sein. Es fällt mir sehr schwer, die Menschen dort nicht treffen zu können. Das Wichtigste werde ich von der Schweiz aus bewerkstelligen müssen. Die grosse Herausforderung wird sein, wie wir dort die grösste Not abfedern können. In der jetzigen Situation Spendenaufrufe zu machen, wagen wir uns nicht, gibt es doch aktuell viele Menschen bei uns, welche auch Unterstützung bräuchten…