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November 19

Tansania
Seit vielen Jahren verbringe ich den Juni und November in Tansania, weil ich dort für ein Hilfswerk arbeite. Tansania ist ein Land der Extreme, ist Schauplatz der gewaltigsten Tiermigration der Welt und begeistert mich mit wunderschönen Landschaften und liebenswerten und freundlichen Menschen. Ich habe irgendwo einmal gelesen: „Africa is fantastic, but Tanzania is magic“. Ich könnte Tansania nicht besser beschreiben.

In Tansania zu arbeiten stellt jedes Mal eine grosse Herausforderung dar: Was bei uns eine Stunde dauert, kann sich dort über viele Wochen hinziehen. Zum Beispiel, wenn ich auf eine Bestätigung oder ein amtliches Dokument warte.

Trotzdem kann ich in Tansania entschleunigen. Ich komme zur Ruhe, habe Zeit nachzudenken, über mich, über mein Leben, weil ich, trotz Arbeit, immer wieder warten muss. Es ist für mich ein Geschenk, diese beiden Leben zu haben. Die Erfahrungen in Tansania wirken sich auf mein Leben in der Schweiz: ich lebe bewusster, mehr im Jetzt, was mein Leben intensiver macht. Meine Prioritäten haben sich verschoben: ich nehme mich nicht mehr so wichtig, muss mich nicht mehr beweisen und ich habe gelernt, Dinge gelassener zu nehmen.

Diesmal war die Reise jedoch etwas anders, weil unsere Tochter Mirjam mich begleitete. Ich durfte ihr ein wunderbares Land näher bringen. Ein Land, welches mich schon als 9-jähriges Mädchen fasziniert hat, weil ein Kinderbuch, in welchem das Leben eines tansanischen Mädchens beschrieben wird, mich tief beeindruckte. Immer wieder habe ich das Buch in der Schulbibliothek geholt. Solange, bis der Lehrer sagte, ich soll es doch behalten. Diese Faszination über Tansania hat mich nie mehr losgelassen.

 

Ankommen – am anderen Ende der Welt
Ich werde am Flughafen von Jeremaia, meinem Fahrer abgeholt. Wir fahren durch die Dörfer, und obwohl es dunkel ist, sind die Strassen voller Leben. Viele Marktstände säumen die Strassen, es wird verkauft, gefeilscht und gekocht. Eigentlich wohne ich nur 80 km nördlich von Dar es Salaam. Es hat jedoch oft so viel Verkehr, dass wir für diese Strecke auch schon 4 Stunden gebraucht haben. Auch dieses Mal waren die Strassen verstopft, aber wir haben es in zweieinhalb Stunden geschafft.

Ich wohne bei Freunden in einem kleinen Guesthouse in einem Fischerdorf. Von der kleinen Terrasse sehe ich direkt zum Meer und kann den Fischern ihrem emsigen Treiben zuschauen. Mein jeweiliges Morgenritual besteht darin, dass ich mir mit meinem Wasserkocher einen Kaffee koche und mich dann auf die Terrasse setze um den Tag zu begrüssen. Muss mich zwar mit Mückenspray einsprühen, da die Malariamücken in der Dämmerung sehr aktiv sind, aber das nehme ich für die wunderschönen Morgenstimmungen gern in Kauf.

 

Zuerst die Arbeit!
Diese ist zugegebenermassen nicht immer einfach, und braucht viel Geduld. Ich muss jeweils halbjährlich Schulgelder für unsere 16 Patenkinder bezahlen. Dazu muss ich das Geld bei der Bank einbezahlen, und erhalte dafür einen Beleg, welchen ich in der Schule abgebe. Tönt eigentlich einfach, sofern Computer und Geldzählmaschine funktionieren. Dem war aber nicht so. Anstatt die Geldscheine von Hand zu zählen, haben sie zu dritt versucht, die Geldzählmaschine zu reparieren. Was konkret bedeutet, dass zwei andere Schalter deswegen geschlossen wurden. Fazit: dreieinhalb Stunden warten und letztendlich mussten sie das Geld doch von Hand zählen. Ich hoffte, dass es nun in der Schule etwas speditiver vorwärts gehen würde. Weit gefehlt. Die Buchhalterin hatte mir eine falsche Rechnung ausgestellt. Bis die Buchhalterin die Differenz ausgerechnet hatte, vergingen noch einmal eineinhalb Stunden, da sie sich mit dem Computer nicht auskannte und sie es auch nicht schaffte, die Differenz von Hand auszurechnen. Solche Erfahrungen gehören zum Alltag, ich bin mir solche Situationen gewohnt, aber es braucht schon Nerven…

Der Besuch der Patenkinder ist unbeschreiblich. Ich – wir – sind für die Kinder und auch deren Eltern und Bezugspersonen nicht mehr einfach „Mzungu’s“ – was so viel wie „Weisse“ bedeutet. Sie haben mittlerweile ihre Scheu vor mir verloren und wir können miteinander mit einem Mix von Swahili und Englisch kommunizieren. Voller Stolz zeigen sie ihre Zeugnisse, erzählen von ihrem Leben und wir albern gemeinsam herum. Oftmals werden wir zum Essen eingeladen – dies obwohl die Eltern nichts haben. Dennoch wäre es eine Beleidigung, die Einladung abzulehnen. Wir sitzen auf dem Boden und essen mit den Händen traditionelle Gerichte wie Kuku (Hühnchen) und Ugali (eine Art Maisbrei).

 

Schulbesuche stehen ebenfalls auf dem Plan. Man muss das einfach erlebt haben: es ist laut in den Klassenzimmern, die Kinder gehen umher, reden miteinander, während andere Kinder den Kopf auf dem Pult haben und schlafen… bei uns wäre das unvorstellbar. Schwierig finde ich, dass die Kinder gedrillt werden. Sie lernen englisch auswendig, können sehr gut Englisch lesen, aber sie verstehen meistens die Bedeutung des Textes nicht. Das andere Problem ist, dass sehr früh der Unterricht in Englisch gehalten wird, sei es Geographie, Geschichte, Mathe etc. Da sie der englischen Sprache nicht mächtig sind, lernen sie zwangsläufig in den anderen Fächer wenig.

 

Ein weiterer Besuch galt dem Waisenhaus al madina. Obwohl ich das Waisenhaus und die Betreuerinnen schon lange kenne, schnürt es mir jedes Mal den Hals zu: drei Zimmer für 30 Kinder, zum Teil fensterlos, herumrennende Ratten, in der Regenzeit nasse Räume, kein Raum zum Spielen oder zum Lernen. Die Kinder haben dort wenig Perspektiven. Wir können sie hier nur mit dem Notwendigsten unterstützen: medizinische Versorgung, Essen, etwas Kleider und für ein paar wenige Kinder können wir das Schulgeld bezahlen. Die anderen Kinder besuchen zwar die Governmentschule, aber sie lernen nicht wirklich viel. Die Klassen haben bis zu 200 Schulkinder, und oft haben 10 Kinder zusammen maximal ein Schulbuch, wenn überhaupt.

 

Eine emotionale Herausforderung ist auch Mitwe, eine charitable fundation. In Tansania herrscht immer noch der Glaube vor, dass Familien, welche ein behindertes Kind oder ein Kind mit Albinismus haben, verflucht seien. Deswegen stossen viele Familien ihre behinderten Kinder aus, um selbst zu überleben. Mitwe ist eine tansanische Organisation. Behinderte haben sich selbst zusammengetan, um einander zu helfen und sich gegenseitig zu unterstützen. Wir konnten ihnen diesmal wieder einige Rollstühle und Blindenstöcke finanzieren, und einer Frau eine Beinprothese ermöglichen. Der Empfang war sehr herzlich und sie lassen es sich nicht nehmen, die Übergabe der Mittel zu zelebrieren. Mir ist das jeweils unangenehm, und ich betone immer wieder, dass ich nur der Überbringer der Spenden bin. In solchen Momenten wird mir bewusst, wie privilegiert ich bin, auch wenn ich manchmal über unser System in der Schweiz schimpfe.

 

Meistens habe ich einen eigenen Fahrer. Wir kennen uns, und das gibt mir Sicherheit. Der absolute Favorit unter den Fortbewegungsmitteln ist das Bajaji. Man lernt die Gegend am besten auf den drei Rädern eines Bajaji kennen. Das sind kleine Dreiräder, welche sich hupend durch die grössten Staus schlängeln und für ganz wenig Geld drei bis fünf Personen transportieren. Im knatternden Taxi des kleinen Mannes wird die Fahrt zum Abenteuer. Es ist nicht ganz ungefährlich, aber für kürzere Strecken ist dies mein bevorzugtes Fortbewegungsmittel. Mirjam hatte ebenso viel Spass sich damit fortzubewegen. Aber auch da rufe ich jemanden an, den ich kenne. Und mittlerweile ist es schon bald Ritual, wenn Abdul, einer der Bajaji-Fahrer, kommt und sagt: „Hi Mama Isabella, I know, no Mzungu price, I will give you a very good price“. Daraufhin folgt Gelächter. Es ist so, dass sie bei den Weissen versuchen, mehr Geld zu verlangen. Deswegen informiere ich mich vorher, was etwas kostet, und handle dann den Preis auch dahingehend herunter.

 

Safari
Safari bedeutet auf Swahili „Reise“. Ich fand, Mirjam kann nicht nach Tansania fliegen, ohne wenigstens einen Elefanten in freier Wildbahn zu erleben. Wir flogen, da unser Tätigkeitsfeld nahe einem Game Reserve liegt, nach Selous. Der Start war schon genial: wir flogen in einem vierplätzigen Kleinflugzeug. Da wir die einzigen Gäste waren, gestaltete sich dieser Flug zu einem Privatflug. Selous sah von oben wie das Okavangoldelta aus. Es hatte viel zu früh (die kleine Regenzeit sollte erst Ende November beginnen) und viel zu viel geregnet. Unser Pilot war grandios. Er liess die Cessna über Selous absinken, um uns die einzigartige Schönheit, trotz der Überschwemmungen, vor Augen zu führen. Die Landschaft sah von oben wie ein Patchwork-Teppich aus. Die unberührte Natur zog unter uns vorbei, mit einem ständig sich wechselnden Farbspiel.

 

Da diese kleinen Flugzeuge sind oft nicht neuesten Baujahres, da wackelt es schon manchmal, bei Regen kann es auch hineintropfen. Als die Cessna auf dem Airstrip aufsetzte, fuhr sie durch einen grossen Wassertümpel, so dass es spritzte. Die Fenster waren nicht ganz dicht, und ich bekam eine ziemliche Dreckladung ab… aber was soll’s. Die Begrüssung in der Lodge war auch besonderer Natur und auf diese Art von Begrüssung kann ich gern verzichten: bei unserem Zelteingang haben es sich zwei grosse Baboonspiders bequem gemacht. Mit gross meine ich über 15 cm. Wir wussten nicht, ob sie giftig sind, und haben sofort nach einem Massai gerufen. Der hat das ziemlich lustig gefunden. Wir weniger. Im Zelt ist es sicher, denn das Zelt ist dicht. Aber: um auf’s Klo zu gehen, oder um zu duschen, muss man vor das Zelt gehen. Dort schützt zwar eine ca. 2m hohe Plane vor Tieren, aber im Zeltdach können sich schon ein paar Viechereien verstecken. Wir haben zu zweit das Zeltdach zigmal abgeleuchtet, bevor wir duschten.

 

Unglaubliche Natur
Zugegeben, diesmal waren die Erkundungstouren mit dem Geländewagen anstrengend. Durch die vielen Regenfälle standen einzelne Geländestriche ziemlich unter Wasser. Der Boden war aufgeweicht, was das Fahren erschwerte. Dafür war die Landschaft umso grüner, viele Pflanzen blühten, was für die Jahreszeit aussergewöhnlich ist. Es war einfach unglaublich. Ich buche immer eine Privattour. Ich mag es nicht, mit grölenden und sensationslüsternen Touristen auf dem Geländewage zu sitzen. Ich muss auch nicht die Big Five (Löwe, Leopard, Büffel, Elefant und Nashorn) sehen. Denn da gibt es wunderschöne Landschaften, Farbspiele, Gerüche und Geräusche.


Zeit für Zeit
Wir haben Kaffee gekocht, uns hingesetzt und wurden Teil der einzigartigen Natur. Wäre nicht das Gefühl von Gefahr und Abenteuer, würde diese Kombination zum Träumen einladen. Überall lag der betörende Duft von wildem Jasmin. Die Luft flirrte vor Hitze, die Zikaden zirpten, und sonst war da einfach Ruhe. Ein paar neugierige Giraffen und Impalas schauten zu uns herüber, Büffel- und Elefantenherden zogen an uns vorbei (einmal mussten wir zwar ziemlich schnell zusammenpacken, da die Elefanten plötzlich die Richtung änderten und auf uns zukamen… da war mir dann nicht mehr so wirklich wohl). Ein Highlight war auch das Abendessen vor dem Zelt: ein Feuer, ein Massai welcher auf uns aufpasst, und absolut feines Essen. Inmitten von Natur. Wir waren sehr nahe an einem See, wir hörten Hippo’s (Flusspferde, ich liebe deren Sound), das Lachen einer Hyäne und über uns ein einzigartiger Sternenhimmel.


Äussere Reisen – innere Reisen
Die Zeit in Tansania ist jedoch nicht nur von äusseren Reisen und Eindrücken geprägt. Ich lebe dort in einem einfachen Zimmer, ohne Radio und TV.

Extreme Situationen und Herausforderungen setzen in mir neue und/oder ungewohnte Reaktionen frei. Es kommt mir manchmal vor, wie wenn ich zwei Leben leben würde: eines in der Schweiz und eines in Tansania. In der Schweiz liebe ich ein gewisses Mass an Luxus, sei es schön zu wohnen, immer sauberes Wasser zur Verfügung zu haben, ich kleide mich gern modisch und weiss, dass es nicht selbstverständlich ist, in einem stabilen Land wie der Schweiz, zu leben. In Tansania bewege ich mich auf unsicherem Terrain, und ich muss mich immer wieder durchsetzen und beweisen, weil ich eine Frau bin. Im Gegenzug dazu ist eine gewisse Unterwürfigkeit der Tansanier gegenüber den „Mzungu’s“ spürbar. Ich möchte jedoch Kontakt auf Augenhöhe und ich zeige, dass ich ihre Kultur und Tradition respektiere.

Und genau das wird dann in Tansania schwierig, weil der Tansanier im heute lebt. Er denkt nicht an morgen. So komme ich immer wieder in Situationen, in denen ich „bestimmen“ muss, was mir jedoch äusserst unangenehm ist. Aktuelles Beispiel: wenn ich fundi’s (Arbeiter) für ihre Arbeit entlöhne, muss ich dies in kurzen Abständen tun, also alle paar Tage. Denn wenn ich Ende Monat den Lohn bezahlen würde, kommen sie nicht mehr zu Arbeit, denn jetzt haben sie ja wieder Geld. Für mich ist es immer wieder eine Gratwanderung, denn ich möchte nicht mit den Mzungu’s gleichgesetzt werden, welche Tansania in der Kolonialzeit sehr negativ geprägt und beeinflusst haben.

 

Ganz ohne Blessur geht es wohl nicht
Im Guesthouse, wo wir hausten, gibt es einen kleinen Pool. Da es fast täglich um die 40 Grad war, benutzen wir diesen um uns etwas abzukühlen. So gut das halt geht, wenn das Wasser auch etwas 28 Grad hat. Wir haben mit dem Wasserkocher jeweils Tee oder Instant-Cappuccino gekocht und am Pool getrunken. Mirjam hat sich dann ganz elegant aus dem Pool geschwungen. Ich wollte das nachmachen, so alt bin ich schliesslich noch nicht. Es wäre ja auch gelungen, wenn nicht dieser kleine Absatz gewesen wäre. Denn ich hatte mich mit zu viel Schwung aus dem Wasser gehievt, und habe mich an diesem Absatz ziemlich fest gestossen.
Fazit: 2 gequetschte Rippen, aber: ich hab’s geschafft.

 

Rückblick
Ich bin dankbar für diese spannende und schöne Mutter-Tochter-Zeit in Tansania. Wenn ich höre, wie schlimm zum Teil Eltern-Kinder-Beziehungen sind, ist das für mich ein Geschenk. Etwas, was nicht selbstverständlich ist. Und Mirjam hat mir gesagt, sie werde wieder mitkommen…

 

Wieder in der Schweiz:
40 Grad kälter Die Ankunft in der Schweiz war krass: 40 Grad Temperaturunterschied, das steckt mein Körper nicht so einfach weg. Es ist schön, wieder zu Hause zu sein, bei meinem Mann, meiner Familie und unserem Hund Franklin. Zwei Tage Zeit um anzukommen, dann arbeite ich wieder. Ich freue mich auf die Arbeit, es hilft mir auch beim Ankommen. In den Nächten bin ich noch etwas desorientiert, da ich aufwache und nicht weiss, wo ich bin. Dies dauert jeweils ein paar Tage, ich kenne das mittlerweile.


Highlights:
Start Ausbildung Hypnose und Abschluss in Reinkarnationstherapie
Am zweitletzten Wochenende im November startete ich mit einer neuen, tollen Klasse die Ausbildung in Hypnose. Es ist schon eine spannende und schöne Aufgabe, Hypnose interessierten Menschen näher zu bringen. Mittlerweile ist Afrika (während des Tages) ganz weg, ich bin voll und ganz in meinem Tun in der Ausbildung.
Etwas wehmütiger war es die letzten Tage: die Klasse mit Ausbildung in Reinkarnationstherapie geht zu Ende. Schade. Jetzt wo wir uns kennen gelernt haben, wo wir ein gut eingespieltes Team sind. Ich bin ein Gewohnheitstier, und wenn etwas gut ist, möchte ich es am liebsten so beibehalten. Komisch. In Tansania bin ich so flexibel… Das sind eben meine beiden Welten, 2 Extreme, welche ich beide liebe.