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Gegen den Strom schwimmen

Gegen den Strom schwimmen

Sie sind kritisch, suchen nach Wahrheiten und haben eine eigene Meinung. Individualismus ist gefragter denn je. In der Masse mit zu schwimmen gilt als bequem. Viele streben nach Einzigartigkeit und möchten sich vom Rest der Gesellschaft abheben. Sie finden, dass Trends für eine Gleichschaltung unserer Gesellschaft sorgen. Sicher, Trends können uns beeinflussen, wenn wir es zulassen.

Andere möchten nicht zu fest auffallen und anecken und ziehen es deswegen vor, in der Strömung mit zu schwimmen. Ohne ein ausgeprägtes Gefühl für sich selbst und seine Identität zu haben, wird es schwierig sein, sich den verschiedenen Strömungen zu entziehen.

Beide Wege, mit oder gegen die Strömung zu schwimmen, können sehr authentische Wege sein, sofern man die Richtung bewusst gewählt hat.


Gegen den Strom schwimmen: Mut oder Provokation
Gegen den Strom zu schwimmen ist deshalb so schwer, weil einem so viele entgegenkommen. (Henry Ford).

Es ist sicherlich wichtig, nicht immer das zu tun, was alle machen. Wir brauchen Andersdenkende, damit der Strom sich ändern kann. Menschen wie Steve Jobs haben ihre Ziele nur erreicht, weil sie nicht mit der Strömung mit geschwommen sind. Ich denke aber, dass er ein Gespür für die Strömung der Zukunft hatte.
Jonathan Ive sagte einmal: „Es ist so leicht, anders zu sein. Aber es ist schwierig, besser zu sein.“
Beim Schwimmen gegen den Strom müssen Hindernisse überwinden werden, was Kraft und Ausdauer braucht. Die grosse Mehrheit steht im Weg. Auf beiden Seiten entstehen Unruhe und Turbulenzen.
Wer je einmal in einem kleinen Boot flussaufwärts gerudert ist, weiss wie anstrengend das ist. Hört man mit Rudern auf, fällt man wieder ein Stück zurück. Das Rudern jedoch kräftigt die Muskeln. Je öfter ich gegen den Strom schwimme, umso stärker und selbstsicherer werde ich.

Wir haben in der heutigen Zeit viele verschiedene Strömungen: spezielle Lebensgewohnheiten, politische oder weltanschauliche Ansichten, Modeströmungen etc. Alle Strömungen haben etwas gemeinsam: Es hat immer jemanden gebraucht, welcher als erster gegen die Strömung geschwommen ist. Er hat andere so überzeugen oder begeistern können, dass sie sich ihm angeschlossen haben und schon war er kein Einzelkämpfer mehr; er bewegt sich nun mitten im Schwarm.

Vor 30 Jahren habe ich Hypnose gelernt. Damals war ich damit ein totaler Aussenseiter. „Weswegen lernst du nicht etwas Seriöses?“ wurde ich gefragt und von vielen mitleidig belächelt, ein paar Wenige haben mich für diesen Entschluss bewundert. Trotz Widerständen habe ich es durchgezogen und es hat sich gelohnt. Heute, 30 Jahre später, befinde ich mich dadurch mitten in der Strömung und schwimme mit Vielen in dieselbe Richtung.

 

Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom oder: gemeinsam sind wir stärker
Mit dem Strom zu schwimmen kann bequem sein. Aber es gibt auch andere Gründe: es gibt Menschen,
• welche sich allein fühlen und einfach irgendwo dazu gehören wollen.
• welche weder den Mut noch die Überzeugung haben, etwas schaffen zu können.
• denen es an Visionen und Träumen fehlt.
• welche keine Kraft haben, um gegen die Strömung ankämpfen.

Ist es nicht gut, ab und zu im Strom mit zu schwimmen und/oder sich treiben zu lassen? Gemeinsame Ziele und Ideen sind leichter umzusetzen, wenn man nicht alleine ist. Eine Gruppe kann oft mehr erreichen als es ein Einzelner tut. Sie gibt Schutz, Sicherheit und das Gefühl der Zugehörigkeit. Dadurch, dass ich immer wieder mit dem Strom schwimme, oder diesen zumindest sehr genau beobachte, erhalte ich viele kreative Ideen und Impulse, weil ich ein Gefühl dafür entwickeln kann, was der Strömung fehlt oder was hilfreich wäre.

Auch im Schwarm ist nicht jeder gleich
Niemand möchte einer von Vielen sein, das kann ich verstehen. Auch im Schwarm ist keiner gleich wie der andere, und wenn er sich nur durch Kleinigkeiten von den Anderen unterscheidet. Im Schwarm bewegen sich alle in dieselbe Richtung und können sich auf die Weisheit und Erfahrung der anderen verlassen, solange man rücksichtsvoll ist und andere nicht anrempelt.

 

Es gibt sogenannte Schwarmversuche mit Menschenmengen: Verhaltensbiologen von der University of Leeds luden 300 Personen ein. In einer Halle sollten die Teilnehmer nun ständig in Bewegung bleiben und eine Armeslänge Distanz zwischen sich und seinen Nachbarn einhalten. Es durfte auch nicht gesprochen werden. Nach anfänglichem Chaos bildete sich mit der Zeit ein rotierender Kreis. Dieses spontan auftretende Muster bildete sich deswegen, weil jeder bemüht war, hinter seinem Vordermann herzugehen und dabei Ausweichmanövern aus dem Weg zu gehen. So eckte niemand am anderen an und wurde auch nicht angerempelt.

 

Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen. (Konfuzius)
Meines Erachtens sagt dieser Satz sehr viel mehr aus, als „nur“ gegen den Strom zu schwimmen. Im übertragenen Sinne gilt die Quelle als Ursprung unseres Seins. Um zur Quelle zurückkehren zu können, muss man sich vorher von ihr entfernt haben. Bei der Rückkehr kämpft man meines Erachtens nicht nur gegen die Strömung an, sondern gegen sich selbst. Zurückzukehren bedeutet, sich mit sich selbst auseinander zu setzen und nicht (mehr) vor sich selbst wegzulaufen: hinschauen, wahrnehmen, sich selbst begegnen um mit sich ins Reine kommen.

 

Die Kunst ist der Richtungswechsel zum richtigen Zeitpunkt
Gegen den Strom zu schwimmen braucht Kraft und Erfahrung. Sich treiben zu lassen, loszulassen, nicht mehr zu kämpfen kann ebenso eine weise Entscheidung sein. Wie sagte C. G. Jung: „Der weise Mann will es nicht tun, er lässt die Dinge ihren freien Lauf nehmen“.

Beide Richtungen setzen Mut und Vertrauen in die Strömung voraus. Letztendlich bedeuten auch beide Richtungen mit Unsicherheiten zu leben. Um für sich selbst festzustellen, welche Richtung gerade angesagt ist, sollten wir in gutem Kontakt zu uns selbst sein.
• Was zählt ist das Bewusstsein und die Absicht:
• Weswegen schwimme ich in welche Richtung?
• Was ist meine Motivation: tue ich etwas für mich, oder gegen Andere?
• Was ist das Ziel?
• Was benötige ich dazu, was wäre hilfreich?

 

Normen und Regeln – mein persönlicher Umgang damit
Eine Gesellschaft braucht Regeln und Normen. Sie geben uns Sicherheit, Stabilität und eine Orientierung. Ohne Regeln würde eine Gesellschaft entgleisen. Ich mag mir nicht vorstellen, wie unsere Gesellschaft aussehen würde, wenn jeder das täte, was ihm gefällt. Eine Gesellschaft mit weniger Regeln und Gesetze wäre in meinen Augen schon möglich. Dazu müsste jeder Mensch eigenverantwortlich und rücksichtvoll handeln. Aber das ist ein anderes Thema. Wir leben in einer Welt mit gesellschaftlichen Regeln, und die meisten halten sich daran.

Da gibt es aber noch etwas ganz anderes: Das Bedürfnis, sich mit jeder Faser seines Körpers lebendig zu fühlen. Verrückt, übermütig, widerspenstig, abenteuerlustig und vielleicht auch etwas schräg zu sein und aus der Reihe zu tanzen. Dabei ist es ganz egal, was andere über einen denken.

„Kannst du es nicht den andern gleich tun, kannst du dich nicht anpassen und es so machen, wie die anderen?“ Ich kenne diesen Satz nur zu gut. In jungen Jahren hat mich diese Aussage provoziert, das Gegenteil von dem zu tun, was man von mir erwartet hat. Solche Aussagen von Menschen um mich herum provozieren mich heute immer noch. Sie fordern von mir Anpassung, damit sich andere nicht verändern müssen und damit sie ihren gewohnten Trott weitergehen können. Ja, ich könnte mich anpassen, wenn ich wollte, aber in solchen Situationen will ich nicht. Dadurch grenze ich mich zwar aus, damit kann ich jedoch besser umgehen, als mich mit meinen eigenen Werten und Vorstellungen zu verleugnen. Wenn ich mit dem Strom mit schwimme, tue ich dies, weil ich von der Strömung überzeugt bin. Und wenn ich gegen den Strom schwimme, bin ich mir bewusst, dass ich Wellen und Turbulenzen erzeuge, welche nicht allen gefallen.

Eigenverantwortlich zu handeln und authentisch zu sein, erfordert Selbstwertgefühl und Courage. Mit authentisch sein meine ich jedoch nicht, die gesellschaftlichen Normen und Regeln ausser Acht zu lassen. Es kostet mich immer wieder Mut, meine eigene Meinung zu vertreten und zu ihr zu stehen. Ich bin mir bewusst, dass dies nicht immer nur eine Frage des Wollens ist, sondern auch des Könnens. Wenn jemand nie gelernt hat, für seine Bedürfnisse und seine Meinung einzustehen, sich durchzusetzen und mit den damit verbundenen Konsequenzen umgehen zu können, kann dies angst- und stressauslösend sein.

Mir geht es nicht darum, ob nun es nun besser ist, gegen oder mit dem Strom zu schwimmen. Die Richtung hängt von der Situation und den Fähigkeiten es Einzelnen ab.

Manchmal ist es einfach auch angesagt, aus dem Fluss zu klettern und eine Pause zu machen, die Welt und sich selbst zu betrachten, um dann wieder in den Fluss zu steigen.