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Protokoll eines Gesprächs zwischen der Gegenwart und Zukunft

Protokoll eines Gespräches zwischen Gegenwart und Zukunft

Wie schaut unsere - meine - Welt nach der Coronakrise aus?

Im Rahmen von Quarantexte hatte Judith Sympatexter die Idee, eine Prognose oder eben eine Regnose in einem Blog niederzuschreiben. Diese Idee gefällt mir. Sie bildet eine Erkenntnisschleife, in welcher wir unseren inneren Wandel in die Zukunft hinein projizieren. Wir setzen uns mit unserer Zukunft in Verbindung. Dadurch können wir eine Brücke zwischen jetzt und morgen bauen. Wir können ein Zukunftsbild entwerfen, welches uns ermöglicht, äussere Geschehnisse, innere Muster und Mechanismen, mit welchen wir auf die Veränderungen im Aussen reagiere, zu antizipieren.

Ein Vorgehen, welches ich oft mit Klienten anwende. So kam in mir die Idee auf, dass Isabella Futur mit mir, Isabella, telefoniert. Isabella Futura erzählt von ihrem Leben im Februar 2021 und beantwortet Fragen, welche ich ihr stelle.

Ich:

In mir gibt es zwei Welten: Eine draussen und eine drinnen. Ganz ähnlich wie in Hermann Hesses „Demian“. In meiner Welt drinnen fühle ich mich sicher. In der Welt draussen lauert das Virus.


Der erste Schock ist verdaut, ich habe eine neue Struktur in einem neuen Alltag. Zu Beginn wollte ich die Tragweite für uns alle, für mich, nicht wirklich begreifen. Konnte ich nicht. Zuerst schien es wie ein Fall ins Bodenlose, aber nur zuerst. Nicht mehr selbst einkaufen zu können, da wir zur Risikogruppe gehören, ist eine Einschränkung. Viel schwieriger aber ist es, von fremden Menschen Hilfe anzunehmen. Ich musste so weinen, als sie das erste Mal unseren Einkauf brachten. (Unsere eigenen Kinder wohnen leider viel zu weit weg, als dass sie uns unterstützen könnten.) Danke all den selbstlosen, hilfsbereiten und freundlichen Menschen!!!

Nach wie vor bin ich Optimist und schaue positiv in die Zukunft. Der Optimist irrt sich zwar genau so oft wie der Pessimist, aber er hat mehr Spass dabei. Es gibt Zukunftsforscher wie z.B. Matthias Horx, welcher ganz spannende Artikel über das Danach geschrieben hat. Wie gern würde ich an seine Vision glauben. Tue ich aber nicht.
Denn, ich bin auch Realist. Und der Realist in mir glaubt nicht, dass die Menschen von der Krise lernen. Er glaubt auch nicht, dass die Welt nachher besser ist. Sie wird anders sein, aber nicht besser. Das zeigt die Geschichte. Wir Menschen haben zwar viele Krisen bewältigt, aber mir scheint, wir haben nicht viel davon gelernt. Vielleicht diesmal? Ich weiss es nicht.

Erzähle von Dir, wie ist Deine Welt, ein Jahr nach der Krise?

Isabella Futura:

Ich sitze auf der Terrasse, höre die Vögel und das Summen der Bienen. Die Sonne scheint. Wie letztes Jahr auch. Die Menschen gehen zur Arbeit. Nicht alle, aber die meisten. Viele sind in ihren Alltag zurückgekehrt. Viele haben noch immer nicht verstanden, dass wir in einer endlichen Welt leben, uns aber so verhalten, wie wenn sie unerschöpflich wäre. Wo Menschen sind, menschelt es.

So gern ich Dir etwas anderes erzählen würde: Es gibt nach wie vor vom Schicksal gezeichnete Menschen und Menschen welche davon profitieren. Es gibt immer noch genügend Ignoranten, welche so weiter machen, wie bisher. Das sind Menschen, welche leider nichts zum aktuellen Zukunftsgeschehen beitragen.

Aber es gibt ein paar Menschen mehr, welche sich auf das wirklich Wichtige und Wesentliche konzentrieren. Sie leben Solidarität und bewerten Dinge neu. Sie setzen Verzicht nicht zwangsläufig mit Verlust gleich. Im Gegenteil: Viele fühlen sich erleichtert und geniessen, dass etwas mehr Ruhe in ihr Leben einkehrt. Sie kümmern sich weiter um Menschen, deren Leben von Krankheit, Krieg oder Geldnot bestimmt wird.

Die Menschen werden in Deiner Zeit sehr auf sich zurückgeworfen. Viele erleben die Einschränkungen als Gefangenschaft.

Andere, auch Du, gestalteten diese Zeit wie ein Retreat. Dies half Dir, diese anspruchsvolle und herausfordernde Zeit möglichst unbeschadet zu überstehen. Und was noch wichtiger war: Dein unerschütterlicher Glaube, dass es weiter geht. Tagore ist einer unser Lieblingsdichter. Mit einfachen Worten hat er starke Aussagen. Mit dem folgenden Zitat sagt er aus, was wir beide fühlen:

Glaube ist der Vogel, der das Licht fühlt,
bevor die Sonne aufgegangen ist.

Ich:

Ich liebe dieses Gedicht. Es hilft mir auch. Ich weiss, dass es weitergeht, auch wenn ich mich etwas verunsichert fühle, was meine Praxis betrifft. Jetzt habe ich Zeit zum Nachdenken. Ich brauche Ziele. Denn ohne Ziel kann sich kein Weg abzeichnen.

Arbeitest Du wieder in der Praxis? Bietest Du nach wie vor Seminare und Ausbildungen an?

Isabella Futura:

Ich habe meine Praxis und meinen Praxisalltag. Ich führe die Seminare und Ausbildung durch und biete nach wie vor Einzelsitzungen an. So wie die Jahre zuvor auch. Auch ist die Planung wieder einfacher. Es ist schön, Termine festzulegen, und diese auch einhalten zu können und nicht mit einem Auge immer schon ein Verschiebedatum ins Visier nehmen zu müssen.

Du hattest schon lange den Wunsch, noch etwas anderes zu machen. Jetzt nimmt die vorerst vage Idee Formen an, ich bin es am umsetzen. An Kreativität fehlt es mir nicht. Die Idee mit den Workshop – Abenden für Mamis und Papi’s, oder Pat*innen, Oma’s oder Opa’s etc. anzubieten, ist nun ziemlich konkret. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, nur so viel: Mittlerweile habe ich ein gutes Konzept herausgearbeitet. Du siehst: Es geht weiter. Wie immer.

Grosse Unsicherheit verursacht mir die Arbeit in Tansania. Du konntest letztes Jahr nicht hinfliegen und hast alles von der Schweiz aus organisiert: Schulgelder bezahlen, gesundheitliche Versorgung gewährleisten, etc. etc. Was nun dieses Jahr in Tansania geschehen wird, weiss ich nicht. Durch die Coronakrise mangelt es in diesem Land an allem. Das Faustrecht gilt, der Hass auf Ausländer ist gross. Mir fällt es schwer, nicht vor Ort zu sein. Zurzeit ist es jedoch in vielerlei Hinsicht zu gefährlich. Zum Glück habe ich vor Ort Vertrauenspersonen, welche für das Nötigste sorgen können.

Ich:

Das heisst, ich sollte noch ein paar Märchen für Hanna und Juri schreiben, damit die Teilnehmer auch Beispiele sehen. Es hat sofort „klick“ gemacht… ich freue mich auf dieses Projekt.

Und Tansania: das macht mir jetzt schon sehr grosses Bauchweh. Die Menschen dort sind wie meine zweite Familie. Es ist schwierig für mich, das auszuhalten. Es gibt sicherlich auch in einem Jahr keine Normalität. Wir können nicht mehr in den gewohnten Alltag zurückkehren.

Was erwartet mich in einem Jahr ganz grundsätzlich?

Isabella Futura:

Das Allerwichtigste: wir sind gesund (geblieben). Wir haben einen Alltag, aber keine Normalität. Was bedeutet überhaupt Normalität? Wenn Du damit meinst, dass es so weitergeht, wie vor der Krise, sage ich ganz klar Nein. Es gibt keine Normalität, das ist eine Illusion. Du hast ja gesehen, wie schnell das ändern kann...

Krisen - oder "Nicht-Normalitäten" machen erfinderisch, auch mich. Mein Alltag ist etwas verrückter und unkonventioneller. Was ist nach der Krise überhaupt noch normal? Sogar das bisher gewohnte und „normale“ ist nicht mehr normal.

Kannst Du Dir jenen Moment vorstellen, als ich das erste Mal wieder selber einkaufen gehen durfte? Unbeschreiblich, ich hätte nie gedacht, was DAS für ein erhebendes Gefühl ist. In der Bäckerei den Duft des frischen Brotes zu riechen, mich auf dem Markt vom Angebot inspirieren zu lassen. Und einfach wieder selbständig und unabhängig zu sein. Soweit Unabhängigkeit möglich ist. Überhaupt war es ein grossartiges Gefühl, mich wieder frei bewegen zu dürfen. Keine grossen Bogen um Menschen zu machen, keine Berührungsängste mehr haben zu müssen, und Menschen, welche mir lieb sind, umarmen zu dürfen. Wieder zu planen und dadurch einen Jahresplan zu haben, auf den ich mich verlassen kann. Das waren Dinge, welche vorher einfach selbstverständlich waren. Sind sie nicht.

Letztes Jahr war flexibel sein und improvisieren angesagt. Da ich eher ein Kontrollfreak bin, war das für mich ganz schön herausfordernd. Mein persönlicher Erfolg besteht darin, dass ich gelernt habe, Dinge etwas losgelöster und spielerischer anzugehen. Vielleicht ist deswegen nun der Märchenworkshop entstanden?

Da kommt auch gleich wieder etwas wie ein schlechtes Gewissen: Ich weiss, es geht nicht allen Menschen so gut wie mir. Und da hört man immer wieder diesen Satz, dass in jeder Krise eine Chance steckt. Ich kann ihn mittlerweile nicht mehr hören. Dieser Spruch ist leicht gesagt, wenn man Möglichkeiten und Perspektiven hat. …

Ich:

Ja, viele Dinge waren selbstverständlich. Dinge, über die ich mir bis anhin nie Gedanken gemacht habe.

Gibt es etwas, was bei Dir im Jahr 2021 ganz anders ist?

Isabella Futura:

Nicht wirklich. Durch meine bisherige Tätigkeit in Tansania weiss ich, dass nichts selbstverständlich ist. Meine eigenen Krisen haben mir geholfen haben, da zu stehen, wo ich jetzt stehe. Ich wusste und ich weiss, dass mit einer Krise eine schwierige Situation ihren Höhepunkt erreicht. Und wenn dieser erreicht ist, kann es nicht mehr schwieriger werden, nur anders.

Ich habe gelernt, das Beste aus schwierigen Situationen zu machen. Was neu ist, oder zumindest vermehrt auftaucht, sind Klienten mit Beziehungsthemen, Ängsten, Depressionen und Beziehungsthemen.
Vor einem Jahr mussten wir alle Abstand halten. Für Paare aber bedeutete dies das pure Gegenteil davon: Sie waren gezwungen, so eng aufeinander zu hocken wie nie zuvor. Viele Paare haben nie gelernt, miteinander zu kommunizieren und sich auszutauschen. Es liegt auf der Hand, dass diese erzwungene Nähe Probleme verursachen kann.  Und sie haben womöglich vergessen, weswegen sie zusammen sind.

Ich:

Ich erlebe zurzeit eine Zeit zwischen den Zeiten. Das Alte ist nicht mehr da und das Neue ist noch nicht da. Die Zeit zeigt, dass vieles, was vorher unmöglich schien, plötzlich möglich wird. Und zwar ziemlich unbürokratisch. Wir könnten also wenn wir nur wollten…

Ich habe letzte Woche meine Reset-Taste gedrückt. Was für eine Erleichterung, Routinen und gewohnte Abläufe zu unterbrechen. Was mich dabei überrascht, ist, dass ich dabei relativ gelassen bin. Es kommt, wie es kommt. Time will tell. Ich lebe bewusst im Jetzt. Zumindest versuche ich das. Trübe Tage und Gedanken kann ich nicht ganz wegmachen. Sie gehören auch zu mir.

Isabella Futura:

Charlie Chaplin sagte: „Sogar Sterne knallen manchmal aufeinander, und es entstehen neue Welten.“ Meine neue Welt ist am Entstehen. Und ich helfe Menschen am Erschaffen ihrer neuen Welt. Es ist wenig weiterführend, wenn wir Schuldige für das Coronavirus suchen. Meines Erachtens geht es nicht um Schuld, sondern um Verantwortung und um die Bereitschaft zur Veränderung. Viele Menschen sind unersättlich, wollen immer noch mehr. Mehr als es zum Leben braucht.

An dieser Stelle möchte ich einen eindrucksvollen Kurzfilm  hinweisen, er dauert nur ein paar Minuten. Seine Aussage ist trefflich.
Meine Hoffnung ist dahingehend, dass Menschen Prioritäten neu setzen.
Dass innere Werte wichtiger werden als äussere, materielle Werte.
Dass wir näher zusammenrücken ohne uns zu erdrücken.
Dass wir nicht vergessen, dass auch die kleinen Dinge in unserem Leben nicht selbstverständlich sind.

Ich habe den Bäumen gedankt, die mein Leben mit Früchten beschenkten,
aber versäumt, der Gräser zu denken, die es immer grün erhielten.

Tagore

 

DAS ist es: Kleinigkeiten und Banalitäten würdigen. Sie sind nicht selbstverständlich. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, wir sind aufgerufen etwas bescheidener zu werden. Alle von uns könnten einen wertvollen Beitrag leisten, damit die Welt etwas besser und menschlicher wird. Und zugegeben: Ein bisschen Hoffnung habe ich: Ich hoffe auf das, was noch nicht ist, damit es werden kann.

Themenwechsel. Ein letztes: Du hast nicht nach dem Toilettenpapier gefragt, obwohl Dich diese Frage noch immer brennend interessiert. Du wunderst Dich ja, weswegen die Schweizer so scharf auch Toilettenpapier sind. Eine Antwort kann ich Dir darauf auch jetzt nicht geben, aber eine Vermutung. Kann es sein, dass viele doch mehr Schiss haben, als sie zugeben?

Mach weiter so. Bis bald!