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Rück-Blick März 2020

Rück-Blick März 2020

Schmerz-März oder Herz-März

Rück-Blick März 2020
Schmerz-März oder Herz-März

Der März-Rück-Blick unterscheidet sich von den anderen Rück-Blicken. Vielleicht passt er auch gar nicht so gut zur Corona-Krise. Oder vielleicht passt er gerade WEGEN der Krise. Eigentlich wollte ich diesem fiesen kleinen Virus nicht noch mehr Raum geben, als dass es sowieso schon hat. Aber Corona ist da. Nur lasse ich nicht zu, dass er mein Leben dominiert. Ich beobachte das Geschehen draussen aus einem gewissen Abstand, und beobachte auch, was sich wie und wann ändert und wie Menschen reagieren. Am allermeisten beobachte ich mich selbst.

„Energie folgt immer der Absicht“, das erzähle ich auch immer den Ausbildungsteilnehmer*innen. Dieser Satz stimmt einfach: ich kann mein Leben mehr gestalten, als es zuerst den Anschein macht. Denn ich kann mich entscheiden, wohin ich meine Aufmerksamkeit lenke: hin zum schwierigen, traurigen und dem, was runterzieht, oder kann ich erkennen, was ich, trotz allem, in meinem Leben nicht missen möchte. Was schön und gut ist, ohne dass ich die Situation romantisiere. So war der März aussergewöhnlich gewöhnlich.

Dabei bin ich zu einem überraschenden Ergebnis gekommen: Ich habe so vieles, was nicht selbstverständlich ist und so vieles was gut ist.

 

Das allerbeste zuerst: Wir sind gesund!!!

Es ist ein gutes Gefühl, wenn man nicht versuchen muss, glücklich zu sein, sondern es einfach ist.

Mein Mann und ich sind 24 h / Tag zusammen. Meine Praxis ist geschlossen. Wir haben keine Ausweichmöglichkeiten. Brauchen wir auch nicht. Wir haben viele Gemeinsamkeiten und dennoch kann jeder sich gut selbst beschäftigen. Wir haben gute Gespräche, gehen aufeinander ein, unternehmen viel gemeinsam und engen uns trotzdem nicht ein. Sonst wäre dieser März mit dem Corona-Ausnahmezustand, so glaube ich, eine ganz schwierige Zeit. Wir sind ein erprobtes, richtig gutes Team. Ich geniesse unsere Gemeinsamkeit. Wir haben Zeit für Zeit!

Der Kontakt mit und zu unseren Kindern ist ebenfalls sehr nah, auch wenn wir uns nicht sehen können. Wir spüren die starke Verbindung und wir wissen, dass wir als Familie zusammenhalten und uns unterstützen. Das war schon immer so. Normalerweise bin ich kein Telefonierer, ich mag das nicht. Jetzt ist es DIE Möglichkeit uns auszutauschen. So oft und so lange wie im März habe ich im gesamten letzten Jahr nicht telefoniert.

Hilfestellung: Nette und hilfsbereite Menschen helfen uns.
Wir dürfen nicht selbst einkaufen. Unsere Kinder wohnen zu weit entfernt um uns aktiv zu unterstützen. Freundliche Menschen besorgen uns das, was wir zum Leben brauchen. Es ist für mich nicht einfach, diese Hilfsbereitschaft auch anzunehmen. Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass Nachbarn und fremde Menschen sich nach uns erkundigen, und uns ihre Hilfe anbieten.

Franklin. Lebensfreude pur. Wiedergeburt einer Ente
Franklin ist ein Temperamentbündel. Er ist ein Hirtenhund. Respektive, er wäre einer. Denn er fürchtet sich vor Kühen und Schafen. Dafür liebt er Wasser, was atypisch für diese Hunderasse ist. Gott sei Dank ist dem so, denn er ist ein Ferkel. Gerade jetzt im Frühling in der Schneeschmelze, ist es an vielen Orten feucht und dreckig. Er geht mitten durch… wie dreckiger wie lieber. Offensichtlich hat er social distance auch mitgekriegt: Er bahnt sich mit dem grossen Stecken (s)einen Weg.

Zugegeben, für SEINE Frisur benötige ich etwas mehr Zeit als für meine… aber was soll’s. Seit Mitte März denkt er wahrscheinlich, er sei im Hundeschlaraffenland. Da das schöne Wetter mitgespielt hat, konnten wir täglich mehrstündige Spaziergänge und Wanderungen unternehmen. (Wenn ich arbeite, geht mein Mann mit ihm, jetzt tun wir es zu dritt). Der halbe Tag ist also schon mit Franklin ausgelastet. Er kann auch nicht normal schlafen, denn er glaubt, die Vorhänge seien wegen ihm da: Sichtschutz.

Franklin ist ein grosses Geschenk (mit angenehmen Nebeneffekt, dass er uns fit und beweglich hält). Wir staunen immer wieder, dass sogar jene Menschen, welche sich vor Hunden fürchten, sich in ihn verlieben. Er ist ja irgendwie auch ein schmusiger.


Achtsamkeit: Ich kann mit all meinen Sinnen wahrnehmen.
Es wird Frühling. Ich spüre die warme Märzsonne auf meiner Haut. Und ich merke, wie gut mir diese Wärme tut. Frühmorgens werde ich vom Zwitschern der Vögel geweckt, was in mir eine friedvolle Stimmung auslöst. Es scheint, die Welt sei in Ordnung. Wenn ich draussen bin, rieche ich das saftige Gras und die frische Luft. Im Wald hörte ich einen Specht klopfen. Ich seh die Farben des Frühlings, die unbändige Kraft der Natur, und ich spüre, dass ich ein Teil davon bin.

Es sind so viele kleine Dinge: Der Blick meines Mannes, eine Berührung, oder eine aufmerksame Geste eines Nachbarn, ein nettes Wort am Telefon, der erste Schluck des Kaffees am Morgen, etc. Das sind die  Dinge, welche meine Tage bereichern. Diese Dinge lassen mich innehalten und staunen. Sie bringen mich in Kontakt mit mir, verlangsamen und entschleunigen mich. Ich bin mit meiner ganzen Aufmerksamkeit und Konzentration bei dem, was gerade ist und lasse mich ganz bewusst auf den gegenwärtigen Moment ein.

Achtsamkeit bedeutet für mich Lebensqualität und Lebendigkeit. Könnte ich all diese kleinen Dinge nicht wahrnehmen, wäre mein Leben farbloser. DIESE kleinen Dinge sind immer um mich herum. Und ich bin froh, kann ich sie sehen.

 

Langweile? Finde ich toll. Sie hilft mir, den Lärm unserer Welt in mir zu regeln. Sie hilft mir mich selbst zu hören.
Überrascht? Assoziieren Sie mit Langeweile sich nicht beschäftigen zu können? Lustlos herum zu sitzen? Dann kann Langeweile zum puren Stress werden. Diese Art von Langeweile kenne ich nicht. Dazu habe ich viel zu viele Ideen. Wozu ich JETZT Zeit habe, und was ich schon lange nicht mehr gemacht habe, ist stricken. Ich stricke mir meinen Cotona-Pullover. (Nein, ist kein Schreibfehler. Coton >Baumwolle). Und ich konnte lesen, solange mir danach war. Ausgibig kochen und tun, wonach immer mir war.

Da gibt es aber noch die andere „lange Weile“: Ich erlaube mir, nichts zu tun. Im Liegestuhl zu liegen, Geräusche wahrzunehmen, zu träumen, und mich nicht dauernd ablenken zu müssen oder mich mit etwas zu beschäftigen. DAS habe ich mir vorher nie erlaubt.

Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.
Seneca

Diese gute Mischung zwischen Aktivität und dem Nichts-Tun lassen meine Tage erfüllt sein.
 

(Kn)Alltag: Wo Licht ist, muss es auch Schatten geben. Positive Nebenwirkung von negativen Gefühlen.
Es gab im März Tage, die nicht nur gut waren. Manchmal hat eine eigentlich unwichtige Situation gereicht, dass ich explodierte. Es war, wie wenn ich ein Ventil bräuchte. Für meine (Welt)Wut, für meine Ohnmacht, für die Unsicherheit, einfach für alles. Da hat es dann nur noch den berühmten Tropfen, welcher das Fass zum überlaufen bringt, gebraucht: Ein PC, der nicht tut wie ich will, ein verschütteter Tee oder der verrückte Nachbar, der seine Musik morgens um 0445 Uhr voll aufdreht… oder…

Solche „Schlecht-fühl-Tage“ sind meistens ein Gemisch aus ganz laut und ganz leise. Wenn das Laute, Explosive vorbei ist, ist die Power verpufft, zurück bleibt Leere. Dann leide ich. Wobei ich mir bewusst bin, dass ich auf hohem Niveau leide. Ich möchte auch nicht jammern. Meine Gefühle möchten einfach gefühlt und beachtet werden, und zwar ALLE Gefühle. So gab es im März Knalltage und Durchhängertage. Normalerweise sind solche Tage eher selten. Jetzt, im März sind sie etwas vermehrt aufgetaucht. Kennen Sie folgendes Zitat von Philipp Schmid?

„Ich bin mittlerweile so gut im Stolpern, man könnte meinen, ich würde durch mein Leben tanzen“.

Ich mag dieses Zitat, denn es beschreibt genau das, was ich selbst erlebe: ich steh immer wieder auf, egal was passiert. Sie fragen sich, was jetzt die positiven Nebenwirkungen von negativen Gefühlen sei? Ganz einfach: Nach meinem Aufstand (ich liebe Wortspielereien) nehme ich all das Schöne und Gute in meinem Leben noch intensiver wahr.

„Der Eine sieht nur Bäume, Probleme dicht an dicht. Der andere Zwischenräume und das Licht.“
E. Matani

Fazit: Das Grosse liegt im Kleinen.
Glück bedeutet für jeden Menschen etwas anders. Vermutlich gehen Sie mit mir einig, wenn ich sage, dass wir oft die kleinen Dinge aus den Augen verlieren, oder diese Kleinigkeiten als selbstverständlich betrachten. Erst wenn etwas nicht mehr da ist, merken wir, wie bedeutsam ein unscheinbares Detail sein kann. Ich habe viele Dinge, die nicht selbstverständlich sind. Dinge, welche ich immer wertgeschätzt habe, welche mir aber erst jetzt in der Konsequenz bewusst werden. Sie scheinen klein und alltäglich. Das sind sie aber nicht. Denn genau diese Dinge helfen mir in dieser nicht einfachen Zeit.

Der März hat mir einmal mehr vor Augen geführt, dass nichts selbstverständlich ist. Es ist nicht selbstverständlich, morgens warm duschen zu können, in einem Land zu wohnen, in welchem weder Erdbeben noch Tornado uns ängstigen und bedrohen, etc. Wir können uns draussen frei bewegen. (Nicht jetzt, aber sonst). Ich bin 64 Jahre alt, befinde mich im mittleren Alter, aber auch das ist nicht selbstverständlich. Jedenfalls nicht in Afrika.
Wir haben uns an viele Dinge gewöhnt. Und wir haben geglaubt, dass wir uns auf ihr Vorhandensein oder Auftreten verlassen können. Die aktuelle Situation zeigt uns: NEIN, das ist eine Illusion. Das wird uns dann bewusst, wenn wir eine Situation erleben, welche und deutlich macht, dass die eigene Unversehrtheit und Sicherheit nicht selbstverständlich sind. Je mehr wir Dinge für selbstverständlich halten, umso grösser werden die Ansprüche. Denn das, was wir für selbstverständlich halten, ist ja bereits „normal“. So wird die Anspruchsspirale höher geschraubt, und auch sie wird wieder selbstverständlich.

Eckhart Tolle beobachtete, dass Menschen die Tendenz haben, immer auf „die nächste Sache“ zu warten. Ganz egal was wir tun sind wir mit den Gedanken oft schon beim nächsten. Im Moment zu leben bedeutet, das wahrzunehmen, was man gerade erlebt – und hat.

 

Was hat das alles mit dem Monats-Rückblick zu tun?
Im März habe ich, trotz der aussergewöhnlichen Zeit, nichts Aussergewöhnliches gemacht. Ausser, dass ich das Aussergewöhnliche im Alltäglichen, in dem, was ich als normal erlebe, erkannt habe. Und, dass das alles Dinge sind, welche nicht selbstverständlich sind. Ich hatte sehr viel Zeit. Zeit für Gemeinsamkeiten mit meinem Mann und Zeit für mich. Zeit, um über Menschen und über mich nachzudenken.
Der März hat mir aufgezeigt, wie vieles ich in meinem Leben habe, was nicht selbstverständlich ist. Es sind keine spektakulären Dinge, aber Dinge, welche nicht selbstverständlich sind. Diese Dinge haben Bestand. Alles andere nicht. Was für ein aussergewöhnlicher Monat!

Welche Dinge haben SIE in Ihrem Leben, welche nicht selbstverständlich sind?