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Rück-Blick April 2020

Rück-Blick April 2020

Höhen und Tiefen

Zwischen Höhen und Tiefen, zwischen Hoffnung und Desillusion

Zeit für Zeit

Willkommen in der Wirklichkeit. Ich weiss, Corona, Sie können es nicht mehr hören. Das geht mir genauso. Dennoch ist das Virus da und beeinflusst mein Leben. Die geplanten Seminare musste ich absagen, auch die Praxistätigkeit stellte ich ein, und unsere Kinder und Enkelkinder konnten wir nur per Skype sehen.

Der April war dennoch ein reicher, intensiver und irgendwie auch schöner Monat. Ich hatte Zeit für Zeit. Zeit um das, was die Krise mit anderen Menschen und mit mir macht, zu beobachten und zu verarbeiten. Und um überhaupt zu realisieren, dass mein / unser Leben nie mehr so sein wird, wie vorher.

 

Meine innere Welt

Mein Blickwinkel auf die Welt, respektive auf die Menschen, hat sich geändert.

Meine Hoffnung war dahingehend, dass Menschen freiwillig und aus Einsicht die Einschnitte der persönlichen Freiheit (für einen gewissen Zeitraum) hinnehmen und respektieren. Das wäre Solidarität.

Corona betrifft uns alle.  Sie trifft nicht jeden gleich und nicht am selben Ort.

Mich interessiert, weswegen Menschen denken wie sie denken, und weswegen sie handeln wie sie handeln. Dafür habe ich ja nun noch viel mehr Zeit als vorher. Die Pandemie beschäftigt mich, die „Infodemie“ auch. Das, was in den Medien geschrieben wird, so wie sich Menschen äussern und verhalten, finde ich zum Teil sehr befremdlich.

Die Pandemie entpuppt sich als Charaktertest. Ich stelle fest, dass es immer noch zu viele Menschen gibt, welche aus Gedankenlosigkeit oder aus Rücksichtslosigkeit nicht viel zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen.

Die weiteren Massnahmen des Bundes sind sehr abhängig vom Verhalten der Menschen.

Ich fürchte mich weniger vor dem Virus als vor den Menschen

Der Bundesrat appelliert an die Solidarität der Bevölkerung und muss Entscheidungen treffen. Keine einfache Aufgabe. Einerseits hält er die Wirtschaft und Gesellschaft still, und anderseits gleicht er die volkswirtschaftlichen Schäden aus.

Der Staat reagiert schnell und unbürokratisch mit Bundeshilfe. Mir ist bewusst, dass nicht alle davon in Genuss kommen, und dass es wirklich Menschen gibt, die sich am Rande ihrer Existenz bewegen. Dennoch sind wir in der Schweiz viel besser dran, als viele Menschen anderer Länder. In kaum einem anderen Land auf der Welt reagiert – oder regiert – der Bund so umfassend und effizient, wie in der Schweiz.

Was mich betroffen macht, ist die Tatsache, dass trotz Hilfestellungen sich viele Stänkerer zu Wort melden. Sie bemängeln die Bürgerfreiheit und unterstellen der Regierung bösartige und machthungrige Aneignung von Kompetenzen. Unsinnige Verschwörungstheorien umrahmen das Ganze. Viele Vorhaltungen kommen von Menschen, welche gehaltmässig abgesichert sind und sich von daher leisten können, frei über die Krise zu sinnieren. Oder von Menschen, welche sehr wohl die finanziellen Hilfestellungen, welche der Staat zur Verfügung stellt, in Anspruch nehmen.

Ist es wirklich selbstverständlich, was die Schweiz gerade tut? Wie wäre es mit ein bisschen mehr Dankbarkeit? Meines Erachtens ist es inkonsequent, Unterstützungsgelder wie z.B. Lohnausfallersatz für die Selbstständigen, anzunehmen und dennoch nur zu kritisieren. Dabei kritisiere ich nicht, dass Menschen andere Meinungen haben. Ich kritisiere nur deren Inkonsequenz.

Tatsache ist doch, dass eigentlich niemand wirklich verbindliche Aussagen über das Virus machen kann. Virologen vertreten gegenteilige Meinungen. Woran und an wem sollen sich unser Bundesrat orientieren? Und ist es nicht so, dass wenn er nichts unternommen hätte, dass genau dieselben Stänkerer auch dies kritisieren würden. Einfach um des kritisieren willens?

Wir könnten jetzt aus der Corona-Krise einiges für die Zukunft lernen.

Die Krise hat uns auf einen Schlag aufgezeigt, dass nichts, aber wirklich gar nichts, selbstverständlich ist.

Ein unsichtbares, kleines Tierchen hat uns brutal auf den Boden der Realität zurückgeholt. Die Krise spielt sich direkt vor unserem behüteten Zuhause ab. Bei uns in einem Land, welches sich durch Wohlstand und Sicherheit auszeichnet. Und jetzt werden wir aktiv und ich staune, wie Vieles plötzlich möglich wird.

Schon vor der Krise hatten wir viele aktuelle Themen, welche uns beschäftigen und berühren sollten. Ich denke an Hunger, Klima, Tier- und Artenschutz etc. Aber das ist alles nicht so schlimm, nur Corona ist schlimm. Denn Corona betrifft uns jetzt ganz direkt. Alles andere ist weit weg von uns, dabei werden uns auch diese Themen einholen, … nur etwas später.

Ganz nüchtern und pragmatisch betrachtet stelle ich fest, dass zwischen Wissen und Handeln eine grosse Kluft besteht. Schon längst liegen ausführliche Publikationen und Warnungen darüber vor, dass ein verheerendes Virus die Welt in ein Chaos stürzen könnte. Obwohl wir wissen, was mit unserem Klima geschieht, dass alle 2 Sekunden ein Kind an Hunger stirbt etc., sind unsere Bemühungen diesbezüglich vergleichsweise nur spärlich und zaghaft. Wir müssten JETZT das verhindern, was irgendwann später ganz sicher eintritt. Es würde uns jetzt auch einiges kosten. Damit meine ich nicht nur Geld, sondern auch eine Anpassung unserer Lebensgewohnheiten, Verzicht, Respekt etc. All dies würde sich positiv für die Zukunft auswirken.

Es scheint, dass der Mensch erst wirklich in die Krise kommen muss, bevor er etwas lernt. Und selbst in der Krise schauen immer noch viele Menschen weg und verniedlichen, was geschieht.

Willkommen in der Wirklichkeit

Meine Hoffnungen lösen sich in Luft auf

Ich habe gehofft, dass Menschen mitdenken und sich so verhalten, dass das Virus wenig Möglichkeit sich auszubreiten. WAS das richtige ist, wissen wir (noch) nicht, denn es gibt selbst unter Fachleuten unterschiedliche Meinungen.
Ich habe gehofft, dass Menschen sich daran erinnern, dass man eine Krise nur gemeinsam bewältigen kann. Das bedeutet, solidarisch statt egoistisch zu handeln. Dem sagt man Risikokompetenz.

Ich bin am Lernen,  mit dieser Ungewissheit zu leben, anstatt nach Sicherheiten zu suchen, welche es sowieso nicht gibt.

Die Gehässigkeiten, Anfeindungen und Unterstellungen an den Bundesrat machen mich betroffen. Ich bin auch nicht mit allem einverstanden und habe durchaus meine eigene Meinung. Wenn jedoch jeder sein eigenes Süppchen kocht, ist das der Untergang einer jeden Gesellschaft.

In dieser Krise zeigen einige Menschen ihren wahren Charakter: sie sind aggressiv, egoistisch und rücksichtslos. Sie kritisieren alles, tragen jedoch nichts zum Gemeinwohl bei. Weder mit aktiver Hilfestellung noch mit kreativen Ideen. Das Verhalten dieser Menschen macht mir Angst. Grosse Angst.

So bin ich gezwungen, mich noch mehr auf mich zu besinnen, bei mir zu bleiben und nicht in diese Negativspirale mit einzutauchen. Ich pflege Kontakte mit jenen Menschen, denen etwas an Welt, an Menschlichkeit, Dankbarkeit und Verantwortung liegt. Menschen, welche wissen, dass wir privilegiert sind und dass nichts selbstverständlich ist. Menschen, welche etwas zum Gemeinwohl beitragen. Wie froh bin ich, dass es eben solche Menschen gibt! Und ich distanziere mich von Menschen, welche nur am System herumkritisieren, aber dennoch Unterstützung des Staates annehmen.

Nichts geht jemals vorbei, bis es uns gelehrt hat, was wir wissen müssen.

Pema Chödron

Ich bin ent-täuscht, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ich hoffte, dass die Corona-Krise einen Bewusstseinswandel grösseren Ausmasses auslöst. Tut es nicht.

Ent-täuscht zu sein hat auch sein Gutes: Ich bin am Ende einer Täuschung und in der Wirklichkeit angekommen. Dies gibt mir neue Perspektiven und Möglichkeiten. Die Wirklichkeit stellt sich mir so dar, dass ich meinen Zustand und meine Gefühle nicht länger von anderen abhängig mache. Auch hoffe ich nicht mehr auf die Einsicht und Veränderungsbereitschaft anderer. Wie sagte doch Dalai Lama? „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“

So stimmt für mich auch das Zitat „die Hoffnung stirbt zuletzt“ nicht mehr. Viel eher trifft „der Humor stirbt zuletzt“  zu. Denn wenn ich keinen Humor mehr hätte, würde ich in Traurigkeit versinken. So versuche ich bei mir zu bleiben, ohne der Welt den Rücken zuzuwenden. Die Herausforderung besteht für mich darin, mich so zu verändern, dass ich dennoch mir selbst treu bleiben kann.

Die eigentliche Kunst in der Entwicklung liegt darin,
sich selbst, trotz Veränderungen, treu zu bleiben.
Esragül Schönast

So war der April ein Monat der inneren Klärung. Es stellte sich mir nicht die Frage, wie ich Konflikte vermeiden kann, sondern wie ich mit ihnen umgehe. Die Tiefen des Monats April haben mich weiter gebracht und mich auch gestärkt. Was will ich noch mehr?

Meine äussere Welt

Die äussere Welt ist eine Spiegelung der Innenwelt. Beide Welten bedingen einander.

Wann immer ich wieder etwas melancholisch verstimmt war: sobald ich mich draussen in der schönen, frühlingshaften Natur bewegen konnte, ging es mir wieder gut.

Aber auch im Aussen erlebte ich "Tiefen". Da gab es Menschen, welche mich blöd anmachten, weil ich versuchte, 2m Distanz einzuhalten. Oder gar solche, welche mich anrempelten. Das waren Momente, in denen selbst ich sprachlos war. Manchmal gab es Tage, an denen ich wirklich überlegt habe, ob ich überhaupt noch raus gehen soll, kann, darf? Eigentlich habe ich auch nicht Angst am Virus zu erkranken, … aber uneigentlich: Freunde von uns sind Ärzte. Und sie erzählten uns, wie Corona-Erkrankte mit schwerem Verlauf sterben… das verunsichert, ich möchte weder meinen Mann, noch andere, noch mich dem Ansteckungsrisiko unnötig aussetzen.

Wie schon geschrieben: Ich kann Schwierigkeiten nicht vermeiden, aber ich kann lernen anders mit ihnen umzugehen. Das ist meine Herausforderung. Dazu brauche ich einen klaren Kopf. Diesen finde ich draussen in der Natur. In der Stille. Diese Stille hilft mir, mich nicht zu verlieren, und eine gesunde Distanz zum Wahnsinn der Welt zu finden.

An dieser Stelle zitiere ich den Text aus „Stillness speaks“ von Eckhart Tolle. Tauchen Sie ein in seine Worte – und in die nachfolgenden Bilder. Ich bin sicher, Sie verstehen, was ich meine.

 

Stille spricht
„Wenn Du den Kontakt mit deiner inneren Stille verlierst, so verlierst Du den Kontakt mit dir selbst. Wenn Du den Kontakt mit dir selbst verlierst, verlierst du dich selbst in der Welt. Dein innerstes Verständnis von dir selbst, was du bist, ist untrennbar von Stille. Dies ist das "Ich bin“, das tiefer ist als Name und Form.
 

Stille ist Deine wahre Natur. Was ist Stille?
Der innere Raum von Bewusstsein, in dem diese Worte wahrgenommen und zu Gedanken werden. Ohne dieses Bewusstsein würde es Wahrnehmung, keine Gedanken, keine Welt geben. Du bist dieses Bewusstsein in Gestalt deiner Person.
 

Das äußere Geräusch entspricht dem inneren Geräusch des Denkens.
Die äußere Stille entspricht der inneren Stille. Wann immer Stille um dich herum ist, höre sie. Das bedeutet, Du bemerkst sie. Richte deine Aufmerksamkeit auf diese Stille. Die Wahrnehmung der Stille lässt die Stille in dir erwachen, weil du nur durch Stille Schweigen wahrnehmen kannst. In dem Augenblick, wenn Du die Stille um dich bemerkst, hörst du auf zu denken. Du nimmst wahr, aber du denkst nicht.
 

Wenn Du der Stille gewahr wirst, dann ist da sofort ein Zustand von stiller Wachsamkeit. Du bist präsent. Du bist aus einer kollektiven menschlichen Konditionierung von Tausenden von Jahren ausgestiegen.
 

Schaue einen Baum, eine Blume, eine Pflanze. Richte deine ganze Aufmerksamkeit darauf. Wie still sind sie, wie tief verwurzelt mit dem Sein. Erlaube der Natur, die Stille zu lehren. Wenn du einen Baum anschaust und seine Stille wahrnimmst, wirst du selbst still. Du verbindest dich mit ihm auf einer sehr tiefen Ebene. Du fühlst diese Einheit mit was immer du in und durch Stille wahrnimmst. Diese Einheit deines Selbst mit allen Dingen zu spüren, das ist wahre Liebe.
 

Geräuschlosigkeit ist hilfreich, aber du brauchst sie nicht, um zur Stille zu finden.
Sogar wenn da Geräusche sind, kannst du die Stille wahrnehmen, die hinter diesem Geräusch ist, der Raum, von dem diese Geräusche kommen. Das ist der innere Raum von reiner Wahrnehmung, dem Bewusstsein selbst. Du kannst dieses Bewusstsein wahrnehmen als der Hintergrund für alle deine Sinneswahrnehmungen, deiner Gedanken. Sich seines Bewusstseins gewahr zu werden, bedeutet das Entstehen innerer Stille.
 

Richte deine Aufmerksamkeit auf die Räume dazwischen - der Raum zwischen zwei Gedanken, das kurze Schweigen zwischen zwei Worten bei einer Unterhaltung, zwischen den Noten eines Piano oder einer Flöte, oder der Zeitraum zwischen dem Ein- und Ausatmen. Wenn du deine Aufmerksamkeit auf diese Zwischenräume richtest, dann wird Gewahrsein von etwas einfach Gewahrsein.
 

Die formlose Dimension von reinem Bewusstsein kommt aus deinem Innern und ersetzt die Identifikation mit Form. Wirkliche Intelligenz arbeitet schweigend. Stille ist wo Kreativität ihre Quelle hat, Lösungen zu Problemen gefunden werden. Ist Stille nur die Abwesenheit von Geräusch und Inhalt? Nein, sie ist Intelligenz selbst. Ihr liegt das Bewusstsein zugrunde, aus dem jede Form geboren wird. Und wie kann das von dir getrennt sein?
 

Stille ist das einzige in dieser Welt, das keine Form hat. Aber dann ist sie auch nicht wirklich ein Ding und ist somit nicht von dieser Welt. Wenn du einen Baum oder ein menschliches Wesen in Stille anschaust, wer schaut dann wirklich? Da ist etwas, das tiefer ist als eine Person. Bewusstsein schaut auf diese Schöpfung.
 

 Das ist es was du siehst wenn du aus der Stille heraus schaust - ohne Gedanken. Brauchst du mehr Wissen? Brauchen wir mehr Information, um die Welt zu retten. Oder schnellere Computer, mehr wissenschaftliche oder intellektuelle Analysen?
 

Brauchen wir nicht am nötigsten Weisheit in dieser Zeit? Aber was ist Weisheit und wo kann man sie finden? Weisheit kommt aus der Fähigkeit, still zu sein. Schaue einfach und horche. Das ist nichts mehr, was wir brauchen. Still sein, schauen und lauschen."

 

 

Durchatmen, Kopf auslüften, Kraft aufbauen und tanken...
und neugierig bleiben, was die Zukunft uns/mir bringt.