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Geduld

Hab Geduld, alle Dinge sind schwierig,

bevor sie einfach werden.

 

Mein Motto für das Jahr 2021 war: “Nichts ist so stark wie Sanftmut, nichts so sanft wie wirkliche Stärke". Ist es mir gelungen, dies umzusetzen? Wenn ja, wie habe ich es gemacht? Und was wird mein Motto für 2022 sein?

Das Jahr 2021 war für mich ein Jahr mit vielen up’s and down’s: Beruflich darf ich auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken, auf ausgebuchte Ausbildungen und Seminare. Das verführt zu sagen, dass es in Sachen Business ein gutes Jahr war. Dies stimmt jedoch nur bedingt, da ich auch an mich Ansprüche habe: nämlich Teilnehmer*innen zu erreichen und zu motivieren. Das ist mir nur zum Teil gelungen. Ohne gewissen Zeitaufwand um das Gelernte zu verinnerlichen kommt niemand herum. Vielleicht ist es der Zeitgeist, der Abdruck in unserer Gesellschaft, welche Menschen dahinführt, die Materie nur noch oberflächlich zu lernen, dennoch ist der Anspruch da, „gut“ zu werden. Die Ansprüche von Teilnehmer*innen an mich werden immer grösser. Mir reicht es nicht, nur ausgebuchte Seminare zu haben – ich habe den Anspruch, dass die Teilnehmer*innen wirklich gut werden. In solchen Situationen fehlt es mir an Gelassenheit. Mich beschäftigt es tagelang, ich studiere und grüble, was ich noch tun könnte, um Teilnehmer*innen noch mehr zu erreichen, oder zu motivieren, anstatt die Verantwortung an sie abzugeben. Den Teilnehmer*innen gegenüber kann ich sehr wohl Sanftmut leben, aber nicht mir gegenüber.

Auch privat-persönlich war es ein intensives Jahr. Alte Verletzungen wurden aktiviert und zwangen mich, mich damit nochmals - oder wieder - auseinanderzusetzen. Die Corona-Pandemie mit ihren Auswirkungen machte auch vor mir nicht Halt: ich stelle fest, dass viele Menschen immer dünnhäutiger und/oder aggressiver werden. Der Umgang miteinander lässt manchmal zu wünschen übrig.

Ja, ich hätte mich in Sanftmut üben können, das Übungsfeld wäre da gewesen. Manchmal war ich einfach nur traurig, und manchmal wütend oder entsetzt. Ich fühlte mich hilflos und auch ausgeliefert. Ich hatte das ganze Spektrum der Gefühle zur Verfügung, ausser Sanftmut. Dennoch fühle ich mich jetzt, am Ende des Jahres 2021, damit nicht schlecht. Das gesamte Gefühlsspektrum von up and down, hat mich mir letztendlich nähergebracht. Vielleicht hat gerade dieses die Basis für Sanftmut geschaffen.
Am Schluss des Mottos 2021 schrieb ich: „PS. Ich befürchte, dass dies das über das Jahresmotto 2021 hinausgeht und zum Lebensmotto wird.“ Das hat sich bewahrheitet.

Deswegen wundert das Motto für 2022 wohl kaum: Geduld. Deswegen ist das erste Bild auf diesem Blog ein Baobab-Baum. Er brauchte hunderte von Jahren, um zu diesem stattlichen und imposanten Baum zu werden.

Das folgende Gedicht von Hermann Hesse wird mein Leitfaden sein, denn es drückt genau das aus, was ich mit Geduld verbinde:

Geduld ist das Schwerste und das Einzige, was zu lernen sich lohnt.
Alle Natur, alles Wachstum, aller Friede, alles Gedeihen und Schöne in der Welt
beruht auf Geduld, braucht Zeit, braucht Stille, braucht Vertrauen.

Hermann Hesse

Wie die Pflanzen zu wachsen belieben, darin wird jeder Gärtner sich üben. Wo aber des Menschen Wachstum ruht, Dazu jeder selbst das Beste tut.

Johann Wolfgang von Goethe

Ist es bei uns Menschen nicht auch wie bei Pflanzen? Pflanzen benötigen, um zu blühen und zu reifen, ein geeignetes und wachstumsförderndes Umfeld. Ohne geeigneten Standort oder der richtigen Bodenbeschaffenheit kann eine Pflanze nicht richtig gedeihen. Sie braucht grundlegende Voraussetzungen für Ihr Wachstum. Ist all dies vorhanden, braucht es nur noch Geduld, bis sie blüht. Menschen sind keine Pflanzen, dennoch lohnt es sich, über diese Analogie nachzudenken.

Wir alle brauchen ein gesundes und wachstumsförderndes Umfeld, damit wir uns gut entwickeln können. Physiologisch benötigen wir genügend Wasser und eine ausgewogene Ernährung. Wir bestehen jedoch nicht nur aus Körper. Wir entwickeln uns auch geistig-seelisch. Auch dazu benötigen wir ein wachstumsförderndes Umfeld.
Als Erwachsene sind wir aufgefordert, das Wachstumsfeld selbst zu gestalten und zu beeinflussen. Geistiges und seelisches Wachstum gelingt mit Menschen, welche einen wertschätzen und denen man vertrauen kann. Aber nicht nur. Im optimalen Fall finden wir uns selbst. Wir nehmen uns mit all unseren Stärken und Schwächen an und sind innerlich ausgeglichen. Das „Blühen“ ist kein einmaliges Ereignis, vielmehr hält es über längere Zeiträume an. Und dem ein oder anderen mag es gelingen, zum Dauerblüher zu werden.

Dies geschieht nicht über Nacht. Man kann diesen Prozess auch nicht abkürzen. Das geistig-seelische Wachstum ist ein Entwicklungsprozess, welcher Zeit braucht und auch nie abgeschlossen ist. Nur, manchmal fehlt (mir) die Geduld. Das ist vergleichbar mit einem Gärtner, welcher ein Pflänzchen ausreisst, bevor es blüht. Er wird so nie herausfinden, zu was es herangewachsen wäre.

Hab Geduld mit allen Dingen, vor allem aber mit dir selbst.
Franz von Sales

Geduld ist die Tugend der Glücklichen

Spinoza

In den Seminaren bedanken sich Seminarteilnehmer*innen oftmals für meine Geduld. Nun, in den Seminaren bin ich gewissermassen im Amt, da fällt es mir nicht schwer, geduldig zu sein. Aber habe ich wirklich Geduld? Ich kann beharrlich, ja fast stur sein, wenn ich etwas ausprobiere und wenn ich etwas erreichen möchte. Jedoch ist Beharrlichkeit nicht gleichzusetzen mit Geduld. Mir stellt sich gerade die Frage, ob Geduld nicht die Basis für Sanftmut bildet? Vielleicht hätte ich für das Jahr 2020 "Geduld" als Motto nehmen sollen, um jetzt für das neue Jahr unter das Motto "Sanftmut" stellen zu können.

Im Laufe des letzten Jahres habe ich festgestellt, wie streng ich mit mir bin. Wie oft ich viel zu viel von mir verlange. Dass ich mir, meiner Seele und meinem Körper oft viel zu wenig Zeit gebe. Ich musste erfahren, wie mich das psychisch und körperlich an Grenzen bringt. Noch immer bin ich viel zu oft im Tun und im Machen.

Hab Geduld, alle Dinge sind schwierig, bevor sie einfach werden.
Buddha

Ist einfacher gesagt als getan. Geduld braucht ein Problem Ich brauche sie, wenn ich in Schwierigkeiten bin. Herausforderungen, Druck oder Verletzungen fordern zur Geduld heraus. Es zeigt den Unterschied zwischen dem „Ist-Zustand“ und dem „Soll-Zustand“ auf. Auch wenn es ironisch tönen mag: das Gefühl von Geduld könnte mich darauf hinweisen, dass lohnenswerte und erstrebenswerte Ziele vor mir liegen.

Geduld erdulden
Richtig, genau so meine ich es: Geduld erdulden. Geduld ist eine Tugend, nur, ich werde oft, bevor Geduld eintreten könnte, ärgerlich oder wütend. In Japan sagt man: „Geduld ist die Kunst, nur langsam wütend zu werden“. Das trifft es auf den Punkt. Geduld ist etwas, was ich aushalten muss. Vorerst ist es sicherlich ein herausforderndes und kein angenehmes Gefühl. Ich muss etwas aushalten. Geduld ist auch im Sinn von Gelassenheit die Fähigkeit, etwas, oder jemanden so zu lassen wie es/er ist. Bräuchte ich also mehr Gelassenheit um geduldig(er) zu sein? Oder bräuchte ich mehr Geduld um gelassener zu sein? Beides?

Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewusstseins
Marie von Ebner-Eschenbach

Was meint Gelassenheit? Ist damit „sein lassen“ gemeint? Gelassenheit klingt so cool – und irgendwie nach einer Lösung. Gelassenheit klingt nach jemandem, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Davon bin ich oft weit entfernt. Ich glaube, dass ich sofort anpacken muss, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Das kann wichtig sein, aber ebenso wichtig wäre es, Dinge zu akzeptieren und sie „sein lassen“ zu können. In der griechischen Antike beschreibt der Begriff Gelassenheit eine wichtige Tugend: Gelassenheit ist eine Besonnenheit, welche uns dabei hilft, dass wir uns nicht zum Spielball unserer eigenen Hektik und vermeintlichen Anforderungen machen. Gelassenheit würde uns helfen, in solchen Momenten innezuhalten und uns zu fragen, worum es gerade geht und was da los ist.
Es geht also darum, das rechte Mass zu finden, für das, was wir im Rahmen unserer Möglichkeiten tatsächlich können und nicht nur für das, was wir wollen.

Geduld ist eine milde Form der Verzweiflung, verkleidet als Tugend

Ambros Bierce

Ich kann gut nachvollziehen, was mit obigem Zitat gemeint ist. Man sagt ja nicht umsonst, dass einem der Geduldsfaden reisst. Es liegt an mir, wie ich mit dieser milden Form der Verzweiflung umgehe. Energie folgt der Absicht, ich kann/könnte es also lenken. Da kommt nun Achtsamkeit ins Spiel: nur, wenn ich ich ganz bewusst meine Gefühle und Gedanken wahrnehme, kann ich bewusst entscheiden: Will ich mehr Geduld und Gelassenheit – oder will ich mich in den Strudel der Hektik hineinziehen lassen? Ich bin mein eigener Regisseur, nur vergesse ich das immer wieder. Mit mehr Geduld würde ich an Gelassenheit gewinnen – und mit mehr Gelassenheit gewinne ich Freiheit. Vor allem innere Freiheit, weil ich von meinen eigenen Ansprüchen und Erwartungen loslasse. Ich könnte erkennen, welche Fesseln ich mir selbst auferlege, wieviel Druck ich mir mache und wie ich mich selbst   mit meinem Hang zu Perfektionismus und es allen recht machen zu wollen, stresse. Mehr Gelassenheit gäbe mich die Möglichkeit, Nein zu sagen und besser für mich zu sorgen.

Nicht die Realität erschafft meine Interpretation einer Situation,
sondern meine Interpretation erschafft die Realität.
Meine Realität.

Unbekannt

Zeit die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt

Wie gesagt, ich bin nicht nur geduldig. Wenn ich etwas im Kopf habe, muss das sofort umgesetzt werden. Für mich ist es unerträglich auf etwas zu warten. In vielen Situationen ist es gut, mit vollem Einsatz für etwas einzustehen und mich reinzuhängen. Aber ich weiss auch, dass die wirklich guten Dinge im Leben Zeit brauchen. Ich bräuchte manchmal mehr Zeit, bis ich zu etwas bereit bin. Mir fehlt manchmal das Vertrauen darauf, dass das, was zu mir gehört, mich auch finden wird. Ich könnte mich also etwas mehr zurücklehnen und mich entspannen. Stattdessen versuche ich die Dinge selbst in der Hand zu haben. Denn dann kann ich sie kontrollieren. Was für ein Trugschluss.

Ich möchte mehr darauf vertrauen, dass es manchmal richtig ist, zu warten und, dass gewisse Dinge im Leben einfach ihre Zeit brauchen.

In der Stille werden die wahrhaft grossen Dinge geboren

Thomas Carlyle

Viele Menschen haben zur Stille ein ambivalentes Verhältnis. Sie sehnen sich einerseits danach und anderseits fürchten sie sich davor. Für einige Menschen hat Stille gar etwas Bedrohliches. Anselm Grün sagt: “In der Stille kommt das Wesen der Dinge zum Vorschein.“ Die Stille hat für mich etwas Heilsames. Sie zwingt mich auch, mich mit mir auseinanderzusetzen, weil keine äusseren Ablenkungen dies nun verhindern. Wenn es draussen still ist, kann ich meine innere Stimme hören. Wobei zu erwähnen wäre, dass totale Stille fast unmöglich ist. Egal, wo wir uns befinden, es sind immer Geräusche um uns herum.

Stille im Aussen bedeutet für mich, mich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Zu sehen, was ist, ohne Ablenkung und Störung. Ich habe gelernt, die Stille auszuhalten, ja mehr noch: ich habe gelernt, die Stille zu lieben.

Vertrauen ist kein Gefühl, sondern eine Entscheidung

Diesen Satz habe ich irgendwo gelesen und er hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe ihn zuerst nicht so richtig verstanden, dennoch spürte ich, dass er richtig war. Ich erlebe immer wieder Situationen, in denen es einfach anders läuft. Etwas entzieht sich meiner Kontrolle. Ich gehe in solchen Momenten oft vom Negativen aus, so nach dem Motto „das wird eh nichts“. Irgendwann lasse ich es dann frustriert los. Mir fehlt das Vertrauen. Obwohl ich so oft in meinem Leben erfahren habe, dass es gut kommt. Wie oft muss das Leben mir noch beweisen, dass ich darauf vertrauen kann, dass es gut kommt. Vielleicht nicht gerade dann, wenn ich es möchte. „Es“, was ist „es“? Ist das Schicksal, oder Bestimmung? Ich weiss es nicht, „es“ kommt jedenfalls meistens gut. Darauf könnte ich allmählich vertrauen.

Und manchmal kommt es anders als man denkt

Auch das hat seine Berechtigung. Denn gerade an solchen Situationen kann ich wachsen und mich entwickeln. Schaue ich auf mein Leben zurück, stelle ich doch fest, dass sich Dinge, welche sich nicht so entwickelt haben, wie ich wollte, sich später als grossen Schatz zeigten. Auch darauf möchte ich mehr vertrauen.

Rückwärts denken und vorwärts handeln

Mein Leben ist ein glückliches Leben, jedoch gehören Tiefschläge dazu. Das vergangene Jahr hat mir aufgezeigt, dass ich sehr wohl Dinge habe, welche aufgearbeitet werden möchten. So habe ich mich meinen Verletzungen gestellt. Ich wollte jedoch nicht einfach im Schmerz oder in der Verletzung hängen bleiben, sondern vielmehr Lehren daraus ziehen. Eben: rückwärts denken und vorwärts handeln. Solche Prozesse kann ich nicht beschleunigen, sie brauchen ihre Zeit. Was ich tun kann, ist für ein wachstumsförderliches Klima zu sorgen und darauf zu vertrauen, dass es so kommt, wie es kommen soll und nicht vorschnell zu handeln. Damit meine ich, dass ich manchmal ein „Unkraut“ aus meinem Garten ausreisse, weil ich es nicht kenne und es mit Unkraut gleichsetze. Wer weiss, wie viele wunderbare Pflanzen ich zu früh ausgerissen habe. Abgesehen davon muss nicht immer alles perfekt sein, ein bisschen Unkraut kann einem Garten einen besonderen Touch von liebevoll verwildert geben.

Eigentlich wüsste ich, wie es geht

Ich kenne Phasen in meinem Leben, wo ich „es“ einfach geschehen lassen konnte. Ich nahm Stufe für Stufe, ohne zu wissen, was auf der nächsten Stufe sein wird. Neugierde und Vertrauen waren meine Begleiter. Grossartiges ist entstanden: z.B. das ibc oder furaha. Nie hätte ich gedacht, dass so etwas Grossartiges daraus entstehen könnte.

Das heisst für mich

dass das  Motto vom Jahr 2021 gewissermassen eine Wiederholung erfährt. Nicht im Sinne von „ich habe die Lektion nicht gelernt“ sondern vielmehr: „Es ist der richtige Weg, ich möchte ihn neugierig weitergehen“. Was heisst das nun konkret: ich habe die Möglichkeit, mich den Herausforderungen zu stellen. Gut, das habe ich immer gemacht, das ist nicht wirklich neu. Aber

  • ich kann mich darin üben, bei mir zu bleiben und dennoch authentisch zu sei
  • Ich kann mich darin üben, mich nicht für alles verantwortlich zu fühlen.
  • ich kann mich darin üben, mehr Vertrauen in mich und das Leben zu entwickeln.
  • ich kann mich darin üben, mich an meinem blühenden Garten zu erfreuen und trotzdem Neues anzusäen und zuzulassen, dass auch der Wind Samen zuträgt.
  • ich kann mich darin üben, der Zeit Zeit zu geben, damit Wachstum möglich wird.
  • ich kann mich darin üben, Gelassenheit nicht mit Passivität, sondern mit Vertrauen gleichzusetzen.
  • ich kann mich darin üben, nicht ständig Energie, Aufmerksamkeit und Zeit, an unwichtige Gedanken zu verschwenden, sondern mich dem Wesentlichen zu widmen.
  • ich kann mich gelassen darin üben, Geduld mit mir selbst zu haben. Das ist wohl die grösste Herausforderung!

So bin ich gespannt, wie sich all dies beruflich wie privat auswirken wird. Und ob ich mit dem Motto mir einen Schritt näherkomme.

Ich freue mich auf meinen Garten und bin ganz neugierig, was da noch alles wachsen wird. Wie sagte doch Seneca:

Weise Lebensführung gelingt keinem Menschen durch Zufall.
Man muss, solange man lebt, lernen, wie man leben soll.