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Spüren ist Leben

Spüren ist Leben

Sich spüren – für ein authentisches und selbstbestimmtes Leben

„Manche Menschen können den Regen spüren, andere werden nur nass“.

Ich mag diese Aussage von Bob Marley, drückt er doch den Unterschied zwischen spüren und feststellen, zwischen einlassen und etwas einfach registrieren, aus.

Eine sanfte Berührung am Arm, feuchtes Gras unter den nackten Füssen, wärmende Sonnenstrahlen im Gesicht spüren zu können, ist nicht für alle Menschen selbstverständlich. Einige spüren und empfinden dies auch tatsächlich und ganz bewusst, während andere solchen Empfindungen keine Bedeutung zumessen und sie nicht (mehr) wahrnehmen.

Immer wieder, immer öfter, begegne ich in meiner Praxis Menschen, welche nicht mehr wissen, was spüren bedeutet. Sie sind meist mit ihren Gedanken beschäftigt und mit dem, was ihre Augen und Ohren aufnehmen. Jede Wahrnehmung wird eingeschränkt und durch den Verstand gefiltert. Sie sind in Gedanken überall: in der Vergangenheit oder Zukunft, im Planen oder Reflektieren, jedoch sind sie nie in der Gegenwart, im Moment. Ihr Körper wird von Verstand und Wille bestimmt. Empfindungen und Gefühle, egal ob positiv oder negativ, werden nur noch gedämpft erlebt.

Tief innen gibt es vielleicht eine grosse Sehnsucht nach mehr Tiefe, Fülle, Vielfalt und Lebendigkeit. Diese Sehnsucht lässt Sie auf die Suche gehen…

Kurze Begriffsklärung vorweg: Meines Erachtens überschneiden sich, vor allem im alltäglichen Sprachgebrauch, die Begriffe „spüren“, „empfinden“, wahrnehmen und „fühlen“. Einfach ausgedrückt könnte man Selbstwahrnehmung mit „sich spüren“ gleichsetzen.
Mit diesem Text geht es mir um etwas ganz Grundsätzliches: ich möchte den Zusammenhang zwischen Körper und Gefühl aufzeigen. Ohne Körperbewusstsein können Sie weder spüren noch fühlen. Das Spüren der eigenen Bedürfnisse und eine gute Selbstwahrnehmung bilden die Basis für gesundes, erfülltes und glückliches Leben.

Sich spüren – für ein authentisches und selbstbestimmtes Leben

I fall I rise,
I make mistakes,
I live I learn,
I ‘ve been hurt but,
I ‘m alive,
I ‘m not perfect,
but I ‘m thankful

Irgendwo habe ich diese Worte gelesen, ich weiss aber deren Herkunft nicht. Besser könnte ich jedoch meine eigene Lebensphilosophie und meine Erfahrungen nicht formulieren.

Wie oft bin ich hingefallen und immer wieder aufgestanden, ich habe Fehler gemacht, habe konnte trotz aller Verletzungen und Wunden, auch wenn diese noch schmerzen, sagen zum Leben. Ich weiss, dass sie zum Leben gehören. Auch, dass ich nicht perfekt sein muss, weil ich dies sowieso nie schaffen werden. Ich war und bin immer lebendig und habe mich den Herausforderungen des Lebens gestellt. Mein Gespür für meinen Weg hat mich dabei unterstützt. Ohne zu spüren, was ich will, wohin ich will, was mir gut und was nicht, wäre ich nie dahin gekommen, wo ich heute bin. Weder beruflich noch für mich als Mensch.

Zu spüren kann schmerzvoll sein. Nicht nur körperlich, auch seelisch. Solche schmerzhaften „Gespüre“ sind für mich - trotz Schmerz - Wegweiser, welche mir neue Möglichkeiten und notwendige Kurskorrekturen aufzeigen. Ich weiss, wie schmerzhaft gewisse Ereignisse des Lebens sein können.
Da gibt und gab es jedoch in mir einen Funken, welcher weiss, dass ich alles meistern kann. Trotz allen Herausforderungen und Verletzungen spüre ich Dankbarkeit für mein Leben. Dankbarkeit bildet die Basis für ein glückliches Leben.

Der Körper ist der Schlüssel

Im Körper zu sein, bedeutet Leben zu spüren.
Viele Menschen haben verlernt, ihren Körper auch wirklich achtsam und bewusst zu bewohnen. Ihn zu spüren und seine Botschaften wahrzunehmen. Unser Körper lügt nie, er spricht zu uns. Jeder von uns ist, wäre, Experte für seinen eigenen Körper. Dazu müssten wir jedoch auf das, was er uns mitteilt, hören. Negieren wir unsere innere Stimme, verlieren wir den Kontakt zum Körper, mehr noch, zu uns selbst. Wir spüren uns nicht mehr.

Jedes Gefühl ruft eine körperliche Reaktion hervor. So können wir vor Freude weinen, oder weil wir traurig, wütend oder berührt sind (oder weil wir Schmerzen haben). Je intensiver ein Gefühl ist, umso deutlicher reagieren wir. Wir lächeln, lachen, manchmal so, dass uns die Tränen kommen. Wir weinen, weil wir traurig sind, aus Freude oder weil wir berührt sind. An diesen körperlichen Reaktionen können wir erkennen, wie es anderen Menschen geht.


Wechselspiel zwischen Körper und Seele
Sie kennen das: Ihr Herz beginnt bei innerlicher Erregung, egal ob freudig oder ärgerlich, viel schneller zu schlagen. Oder wenn Sie an eine saure Zitrone denken, läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen. Wenn Sie Angst haben, reagiert Ihr Körper mit Zittern, mit Schweissausbrüchen und beschleunigter Atmung, Scham treibt Ihnen Blut ins Gesicht und wir erröten.
Auch unsere Sprache bezieht sich darauf: „etwas macht Kopfzerbrechen“, „etwas liegt uns auf dem Magen“, oder wir „sind einfach sauer“, ich könnte die Aufzählung noch beliebig fortsetzen. Das bedeutet, dass wir zum Spüren den Körper brauchen. Ohne ihn verlieren wir den Kontakt zu unseren Gefühlen, Bedürfnissen und Befindlichkeiten, schlichtweg zu uns.


Somatische Marker
Antonio Damasio, ein portugiesischer Neurowissenschaftler, stellte die Theorie auf, dass alle Erfahrungen im Leben eines Menschen in einem emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert wer, den. Sämtliche Erfahrungen eines Menschen werden emotional bewertet und abgespeichert. Positive Erfahrungen werden mit einem guten Gefühl markiert, negative Gefühle werden negativ abgespeichert.

Damasio’s Theorie besagt, dass sich dieses Erfahrungsgedächtnis über ein körperliches Signalsystem mitteilt. Diese Signalsysteme zeigen sich z.B. im erhöhten Herzschlag und Blutdruck, klammen Händen etc. Dieses hilft dem Menschen bei der Entscheidungsfindung: das wird als somatischer Marker bezeichnet.

Somatische Marker geben bei der Vorstellung verschiedener Handlungsalternativen eine Rückmeldung und helfen dem Entscheider, alle emotional nicht tragbaren Handlungsmöglichkeiten auszuschiessen. Je nachdem, welche Signale ihr Körper sendet, wissen Sie, dass Sie auf dem richtigen Weg sind oder wenn sich z.B. ihr Bauch zusammenzieht, lässt es Sie vorsichtig werden, weil Sie spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Somatische Marker entbinden uns nicht vom Denken. Jedoch unterstützen sie uns bei Denkprozessen, indem sie schlechte Wahlmöglichkeiten so verdeutlichen, damit wir sie aus weiteren Überlegungen ausblenden können.


(D)Über-Gehen und (R)Unter Drücken von Gefühlen
Leider übergehen wir – bei uns wie bei anderen – oftmals solche Körpersignale. Dies kann als Schutz vor einer Reizüberflutung dienen. Schwierig wird es jedoch, wenn dieses Abschneiden zu einem Automatismus führt. Wir schalten unser Leben auf Autopilot um. Unser Leben wird auf ein begrenztes Spektrum reduziert, da wir unbewusst den Körper zu bestimmten Mustern konditioniert haben. Das geht aber nur für eine bestimmte Zeit, dann sucht sich der Körper massivere Möglichkeiten, sich mitzuteilen. Gefühle zu unterdrücken ist keine langfristige Lösung. Wir können lernen, mit unseren Gefühlen umzugehen.

Der Körper leidet, wenn es der Seele schlecht geht – und umgekehrt
In meiner Praxis begegne ich immer wieder Menschen mit psychosomatischen Krankheiten oder einem Burnout-Syndrom. An psychosomatische Krankheiten sind immer seelische Auslöser Ursache. Um psychosomatische Krankheiten zu heilen oder zumindest zu lindern, müssen die seelischen Ursachen erkannt werden. Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen haben zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens aufgehört, auf ihre Gefühle und inneren Impulse zu achten und sie auch ernst zu nehmen.

Gefühle sind zum Fühlen da

Der Verstand galt für lange Zeit als höchste Errungenschaft des Menschen, ganz im Gegensatz zu den Gefühlen, welche als unzuverlässig und dumm abgetan wurden. Die heutige Hirnforschung widerlegt nun diese Annahme: Menschen fällen anscheinend rationale Entscheidungen aufgrund von Gefühlen. Mehr noch: Gefühle dominieren unsere Gedanken.


Spüren ist ein komplexer Ablauf
Wer hat das nicht schon erlebt? Feuchte Hände vor einer Prüfung, Magenschmerzen bei Stress oder einen dicken Kloss im Hals bei Trauer. Emotionen machen sich über den Körper bemerkbar. Sie sind, wie auch die Gedanken, energetische Informationen, denn sie sind nicht sichtbar, nur spürbar.

Die spürende Wahrnehmung unserer Innenwelt ist sehr komplex. Rezeptoren in vielen Bereichen des Körpers leiten unentwegt eine Vielzahl von Empfindungen an das Gehirn weiter. Diese Abläufe bilden die Voraussetzung für ein echtes Erleben von uns selbst. Auf äussere Einflüsse und Reize reagieren wir mit unseren fünf Sinnen. Erst eine differenzierte innere Wahrnehmung ermöglicht es, den Körper wirklich zu spüren. Diese Wahrnehmung macht uns im wahrsten Sinne des Wortes selbst-bewusst, wir können so erfahren, wie es uns geht, was wir brauchen und wo wir stehen.
 

Wir wissen zu viel und fühlen zu wenig.
Zumindest spüren wir zu wenig von jenen schöpferischen Emotionen, aus denen ein sinnvolles Leben entspringt.

Bertrand Russell


Gefühle sind Hinweisschilder
Gefühle passieren immer unmittelbar, im Moment, nicht gestern und nicht morgen. Zumindest im Idealfall. Sie haben sicher davon gehört, dass es wichtig wäre, mit seine Gefühle zu spüren. Aber genau das bereitet Ihnen Schwierigkeiten oder macht Ihnen gar Angst? Vielleicht haben Sie schlichtweg verlernt, sich zu spüren, weil Sie mehr im Kopf als im Körper sind? Gefühle geben Auskunft über unser körperliches Befinden und unsere seelische Verfassung. Sie sind von unserer biographischen Lebensgeschichte und Erfahrungen geprägt. Emotionen haben eine bestimmte körperliche Veränderung und bestimmte Verhaltensweisen zur Folge.

  • Bin ich traurig oder bin ich einfach nur müde?
  • Habe ich eine Magenverstimmung oder schlägt mir etwas auf den Magen?
  • Bin ich verspannt weil ich mich zu wenig bewegt habe, oder weil ich unter Stress stehe?

Sie koordinieren verschiedene biologische Systeme unseres Körpers. Mimik, die Muskelanspannung, Hormone etc. um uns in eine optimale Reaktionsbereitschaft zu versetzen. Unterdrücken wir nun unsere Gefühle, fehlt uns der Handlungsansporn, was uns krank machen kann.

Manchmal wollen wir nicht spüren, weil das Gefühl zu überwältigend ist oder uns Angst macht
Manchmal will ich auch nicht spüren, besser gesagt, ich wollte, ich konnte „nicht spüren“. Ich wusste aber, dass der Preis für "nicht spüren" hoch wäre: dann hätte ich auch jene Gefühle und Zustände nicht, welche mich jauchzen und lachen lassen, welche mich erfüllen und glücklich machen.

Gewisse Empfindungen sind oft zu überwältigend. Sei es der Tod eines geliebten Menschen oder der Zahnschmerz, welcher Sie des Nachts wach hält. Jeder Mensch hat Strategien entwickelt, wie er mit Schmerz umgeht, sei es durch ablenken oder ausblenden. Dies ist für mich durchaus nachvollziehbar, denn dadurch können wir unseren Alltag bewältigen. Die Energie, welche wir dafür aufwenden, um nichts zu spüren, fehlt uns in anderen Lebensbereichen. Wir beissen die Zähne zusammen und drosseln unsere Atmung, wir dimmen den Schmerz, damit wir ihn aushalten können. Würden wir den Schmerz, sei dieser seelisch oder körperlich, zulassen, wären wir gezwungen zu reagieren. Wir müssten uns mit dem Problem auseinandersetzen und könnten nicht mehr so weiterleben wie bisher. Wir müssten etwas verändern. Das ist unbequem.


Nichts zu spüren ist auch Schutz vor Verletzung
Womöglich gab es in Ihrem Leben wichtige Gründe, um wenig oder gar nichts mehr zu spüren. Wobei: nichts zu spüren nicht bedeutet, dass man nichts wahrnimmt.
Es kann heissen, dass
…man irgendwie neben sich steht
... sich zu viele Gedanken im Kopf drehen
…man nicht mehr weiss, was einem gut tut
…man seine Grenzen nicht mehr spürt, und diese immer überschreitet …man seinen eigenen Körper nur noch spürt, wenn er schmerzt …etc.
 

Von spüren keine Spur

Wer sich von den Gefühlen abschneidet, schneidet sich vom Leben ab Vielen Menschen fällt es schwer, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu beschreiben. Häufig werden Gedanken, Gefühle und körperliche Wahrnehmungen miteinander verwechselt. Z.B. ich frage einen Klienten (sein Hund wurde vor ein paar Tagen überfahren), wie er sich heute fühlt. Er antwortet „ich bin heute sehr müde. Damit benennt er eine Körperempfindung, dahinter liegt jedoch sein Gefühl von Schmerz und Trauer.


Ausser sich sein
Was verbinden Sie mit der Redewendung „ausser sich sein“? Auf Synonyma kann man nachlesen: „höchst aufgeregt, fassungslos, von Sinnen sein, aus dem Häuschen sein, toben rasen, wutschnauben, überkochen, ausbrechen…“

Das sind alles starke Gefühle. Angenommen, Sie sind so richtig wütend. Sie lassen die Wut heraus und sind ausser sich, haben sich nicht mehr unter Kontrolle. Sie sind nicht mehr in sich. Jemand, der ausser sich ist, hat seine eigene Mitte verloren.

Man kann aber auch vor Freude ausser sich sein, oder aus sich selbst heraustreten, gewissermassen in eine sich selbst von aussen betrachtende Position.

Allen gemeinsam ist: der betreffende Mensch spürt sich nicht mehr, kriegt sich nicht mit, kann sich nicht mehr kontrollieren, ist nicht mehr bei sich. In meiner täglichen Arbeit mit Menschen stelle ich immer wieder fest, dass dieser Kontrollverlust Angst macht. „Was denken bloss die Leute?“ Ein weiterer Punkt ist, dass man sich nach einem Wutausbruch wohl selbst nicht mag.
Also beginnen wir zu kontrollieren und passen uns insofern an, als dass wir nicht auffallen. Bleiben wir beim Beispiel mit der Wut. Wir haben nur die Wahl, wohin wir diese richten wollen: nach aussen – oder nach innen. Zeigen wir die Wut im Aussen, laufen wir Gefahr, dass dies mit Sanktionen irgendwelcher Art verbunden ist. Unterdrücken wir die Wut und lenken die Wut nach innen, ist diese nicht einfach weg. Sie kennen doch den Spruch: „ich hatte so ne Wut im Bauch“… was die Wut dort anrichtet, ist sicherlich nicht gesundheitsförderlich. Irgendwann kommt dann der berühmte Tropfen, der dann das Fass zum überlaufen bringt. Dann kommt die Wut entweder unverhältnismässig und völlig inadäquat nach aussen, oder der Körper wird krank, ich denke da an Magengeschwür etc.
 

Wer niemals ausser sich gerät,
wird niemals in sich gehen.

Paul Heyse
 

Ich habe mich wieder gefunden, ich stand direkt neben mir
Sich zu spüren, mit all seinen Empfindungen, Gefühlen und Wahrnehmungen ist nicht immer angenehm und kann irritieren. Wie gut ich das kenne. Ich suchte die Intensität im Aussen, im Sport, in Projekten, in meiner Arbeit. Ich ignorierte meine körperlichen und seelischen Bedürfnisse bis ich krank wurde. Nun hatte ich genügend Zeit zum Nachdenken und zu Überlegen. Ich war gezwungen, mich nach innen zu wenden und mich, meinen Zustand und meine Bedürfnisse wieder wahrzunehmen.
Ich habe meine Spur wieder gefunden. Es kommt schon vor, dass ich manchmal noch in meine alten Muster zurückfalle, was ich jedoch schnell realisiere, weil ich mit mir im Kontakt bin. Meine eigentliche Veränderung ist in meinem Innern passiert. Ich habe einen anderen Zugang zu meinem Körper gefunden, er ist mehr als nur ein Instrument, welches funktionieren muss. Ich bin in meinem Körper angekommen, bin in ihm zuhause.
Dadurch bin ich sensibler und empfindlicher geworden und spüre unangenehme Gefühle intensiver als früher. Dies bewerte ich jedoch als sehr positiv, sind dadurch die Signale wirklich eindeutig und klar und ich kann richtig und auch unmittelbar darauf reagieren.

Rückblickend weiss ich, dass ich viel aushalten kann und auch sehr belastungsfähig bin. Aber ich habe auch verstanden, dass auch Tätigkeiten, welche man liebt, zu viel werden können.


Das muss einfach gesagt sein
Trotzdem liebe ich es, mich körperlich richtig auszukotzen. Bergauf zu gehen, wie steiler, wie lieber oder zu rennen, bis mir die Puste ausgeht. Ich weiss, ich renn dann wieder vor mir selbst davon (so schnell bin ich), aber das Gefühl nachher: unbeschreiblich. Ich kann Dampf ablassen, komme auf gute Ideen, und ich spüre mich bis in jede Zelle... und es kann schon sein, dass ich meine Grenzen überschreite. Wer das kennt, weiss, wovon ich schreibe.

Zurück zur Spur

Körper und Seele sind nur gemeinsam stark
Ohne Achtsamkeit und Stille können wir die Sprache des Körpers nicht hören und nicht verstehen. Die Sprache des Körpers wieder zu lernen, geschieht nicht in einem Tag.Dieser Prozess beinhaltet verschiedene Aspekte:

  • Stille
  • Präsenz im augenblicklichen Moment
  • Achtsamkeit
  • Mut sich (wieder zu spüren)
  • Die Fähigkeit sich abzugrenzen


Durchbrechen der Routine
Unser Alltag ist geprägt von Gewohnheiten, sich wiederholenden und vertrauten Abläufen und Automatismen. Diese Automatismen erleichtern uns vieles, sie sind wichtig und haben eine ähnliche Funktion wie ein Autopilot. Aber sie haben auch Schattenseiten: Die Gefahr ist gross, den Kontakt zu sich zu verlieren. Denn durch die gewohnheitsmässigen Routinen halten wir nicht mehr inne, spüren wir nicht mehr, wie es uns geht, was wir brauchen, wo wir stehen.


Stille
In meiner Ausbildung als Craniosacraltherapeutin habe ich gelernt, dass Heilung aus der Stille kommt. Das bedeutet, wir müssen punktuell langsamer werden und entschleunigen. Denn nur wenn es still in uns wird, und wir langsamer werden, können wir spüren und fühlen.

Lassen sie mich kurz ausführen, was mit diesem Stillpunkt gemeint ist: Die cerebrospinale Flüssigkeit umspült ständig Gehirn und Rückenmark. Eine wichtige Funktion von ihr ist unter anderem das Gehirn und das Zentrale Nervensystem vor Erschütterungen zu schützen. Durch Druckunterschiede im System kommt ein Pulsieren zustande, welches am ganzen Körper zu spüren ist. Dieses Pulsieren – 6-10 Zyklen pro Minute - könnte mit Ebbe und Flut verglichen werden und wird „Lebensatem“ genannt. Die verschiedenen Bewegungen der Cerebrospinalflüssigkeiten geben Auskunft über den Organismus und dessen zugrundeliegenden Muster. Die Cerebrospinalflüssigkeit ist jedoch nicht nur in Bewegung. Sie hat auch Ruhepunkte, sogenannte Stillpunkte, welche von selbst entstehen und zwischen zwanzig Sekunden und drei bis vier Minuten dauern kann. In dieser Zeitspanne ruht der Craniosacrale Rhythmus, da ist nichts mehr spürbar. Und dennoch geschieht hier ganz viel: Körper und Geist können sich in diesem Moment neu orientieren. Selbstheilungskräfte werden aktiviert. Daher ist es ein Ziel der craniosacralen Arbeit, solche Stillpunkte zu initiieren. Bei Menschen unter Stress treten diese Stillpunkte selten oder gar nicht auf.

Ohne still zu werden ist es meines Erachtens unmöglich, den Körper mit seinen Hinweisen wahrzunehmen. Anders ausgedrückt: ohne still zu werden, ist es schwierig, zu spüren, was ich brauche, wo ich stehe, welche Bedürfnisse und Befindlichkeiten ich habe. Es ist wie wenn Sie mit Ihrem Auto mit hoher Geschwindigkeit über eine Landstrasse rasen. Sie kommen schnell vorwärts, sehen aber die vielen kleinen Dinge am Wegrand nicht: sei es ein Trautropfen auf einem Gänseblümchen, ein Käfer etc. Sobald Sie an eine Kreuzung kommen, müssen Sie anhalten, um auf den Wegweisertafeln lesen zu können, wohin der Weg führt.


Wenn alles still ist, geschieht am meisten.
S. A. Kierkegaard

Das können Sie für sich selbst tun

Sich zu spüren hat mit entschleunigen und Innehalten zu tun Verschaffen Sie sich einen Moment der Ruhe. Nur so können Sie spüren, wie es Ihnen geht, was Sie brauchen und wo Sie stehen. Es ist, wie wenn Sie mit Ihrem Auto mit hoher Geschwindigkeit auf einer Strasse fahren. Sie kommen schnell vorwärts, haben aber keine Chance die kleinen Dinge und Details zu sehen. Dazu müssen Sie langsam(er) werden. Und wenn Sie an eine Kreuzung kommen, müssen Sie anhalten, damit Sie die Wegweiser lesen können und anhand dieser Ihre Richtung bestimmen können.
 

1. Achtsamkeit:
Sie tun etwas ganz Normales, Alltägliches, etwas, was Sie ohnehin machen oder erledigen wollen, und achten darauf, WIE Sie es tun.

Zum Beispiel: Essen Sie nicht einfach Ihr Abendessen, nehmen Sie sich Zeit, geniessen Sie es, von Anfang an: Wie ist es hergerichtet, wie duftet es? Wie reagiert Ihr Körper auf den Duft? Läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen? Wenn Sie den ersten Bissen in den Mund nehmen, wie und wo reagieren Ihre Geschmacksnerven?

Eine schöne und sehr effektive Möglichkeit der Selbstbeobachtung ist zum Beispiel abends vor dem Einschlafen sich zu fragen wie man sich fühlt und woher dieses Gefühl kommt. Dies hilft, sich selbst wieder mehr auf sich sensibilisieren. Benennen Sie die Gefühle, welche da auftauchen. Schwierige Gefühle, welche benannt werden, sind nun bewusst. Dadurch haben Sie die Möglichkeit, diese auf die Seite zu legen. (was viel schwieriger ist, wenn sie unbewusst bleiben und dennoch spürbar sind).

Oder: Fragen Sie sich morgens, bevor Sie aufstehen, wie Sie sich fühlen. Wie haben Sie geschlafen? Geträumt? Wie fühlt sich Ihr Körper an? Wie fühlen Sie sich seelisch? Wenn Sie wissen, wie Sie sich körperlich und seelisch fühlen, können Sie auf die damit verbundenen Bedürfnisse eher eingehen. Angenommen, Sie haben schlecht geschlafen, wild geträumt, Sie fühlen sich müde und durchlässig. Wenn Sie dies wahrnehmen, gönnen Sie sich tagsüber vielleicht eher Ruhe, tun sich etwas zuliebe, muten sich nicht zu viel zu, während Sie sich an Tagen, in denen Sie sich kraftvoll und seelisch stark fühlen, ganz andere Tätigkeiten zumuten können.

Oder: Duschen Sie ganz bewusst: wie fühlt sich der Körper an, wenn Sie die Kleider ausziehen? Wie fühlt sich der Boden unter ihren nackten Füssen an? Wie ist das Wasser, wenn Sie den Wasserhahn aufdrehen? Wie fühlen sich die ersten Tropfen auf Ihrer Haut an? Wie fühlt sich das herabrinnende Wasser an? Etc. Etc. Wie fühlen Sie sich nachher? Machen Sie dies 30 Tage lang täglich, Sie werden eine ganz andere Körperwahrnehmung haben.

Go inside and listen to your body
because your body will never lie to you.
Your mind will play tricks,
but the way you feel in your heart,
in your guts, is the truth.

Geh hinein in deinen Körper und höre auf ihn,
weil dein Körper dich niemals anlügen wird.
Dein Verstand wird dir Streiche spielen aber die Art,
wie Du dich in deinem Herzen und Innern fühlst
ist die Wahrheit

Don Miguel Ruiz


2. Selbstbeobachtung
Suchen Sie nicht nach etwas Bestimmten, beobachten Sie sich. Hören Sie sich zu. Es gibt weder richtig noch falsch, es gibt nur das, was gerade da ist, und das ist immer richtig.

  • „Was fühle ich jetzt gerade?“ Beobachten Sie dabei Ihren Körper.
  • Wie fühlt sich dieses Gefühl, welches Sie gerade haben, im Körper an? Z.B. Freude. Wie ist die Atmung, Ihre Muskelspannung, Ihre Körperhaltung etc.
     
  • Wie reagiert Ihr Körper in bestimmten Situationen? Z.B. Wenn Sie sich nicht so wohl fühlen, gehen Sie diesem Gefühl nach. Z.B. Womöglich steigt Trauer auf. Woher kommt sie, was ist die Ursache dafür?
     
  • „Welche Gedanken lösen welche Gefühle aus?“ Achten Sie darauf, was Gedanken in Ihnen auslösen. Wie verhalten Sie sich, wenn Sie zum Beispiel Wut spüren?
     

3. Stellen Sie sich Fragen
Um sich besser kennen zu lernen, fragen Sie sich, weswegen Sie verlernt haben zu spüren.

  • Was könnte geschehen, wenn Sie Gefühle, mitunter auch starke Gefühle wieder zulassen würden?
     
  • Wovor haben Sie Angst: Angst verletzt zu werden, als schwach – oder überhaupt – gesehen zu werden? Haben Sie Angst, Sie könnten ausser Kontrolle geraten?

Sich der eigenen Angst zu stellen, gibt die Möglichkeit zu erkennen, dass Sie diese Angst nicht zu haben brauchen. Bedenken Sie bitte, dass es in manchen Situationen sinnvoll ist, eine professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denn die Angst ist nicht einfach etwas Negatives. Sie lässt und vorsichtig und misstrauisch sein. Dadurch schützt sie uns vor etwas.


4. Zeigen Sie Gefühl
Zeigen Sie sich dort, wo Sie sich sicher fühlen. So können Sie Vertrauen in sich und Andere allmählich (wieder) aufbauen. Lassen Sie Ihren Gefühlen freien Lauf. Wagen Sie sich anderen Menschen zu sagen, wie Sie sich wirklich fühlen, was Sie bräuchten und was für Bedürfnisse Sie haben. Lassen Sie auch Ihrem Körper freien Lauf: bewegen, tanzen, laufen, weinen, schreien etc. helfen, aufgestaute Gefühle herauszulassen.
Menschsein bedeutet, lebendig zu sein, Emotionen zu erleben, egal ob diese positiver oder negativer Natur sind und den Körper zu spüren.

Und vergessen Sie nicht: Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann Spuren hinterlassen

Wir können unseren eigenen Weg nur finden, wenn wir wissen, wer wir sind und was wir wollen. Es gibt in der heutigen Zeit viele verlockende vorgegebene Wege. Sie vermitteln Sicherheit – und wir lieben Sicherheit. Diese Sicherheiten können trügerisch sein.

Unser Gespür ist ein guter und zuverlässiger Weggefährte, es warnt uns, zeigt uns auf, wenn wir zu schnell oder zu langsam gehen, oder wenn wir die Spur verlieren.
Wir brauchen nur auf unsere Gefühle zu achten und unseren Körper zu spüren: Sie sind die besten Wegweiser, da sie uns aufzeigen, wie es uns geht, wo wir stehen und was wir brauchen. Damit ist auch nicht gemeint, dass es uns immer gut gehen muss. Vielmehr geht es darum, ein Bewusstsein für sich und Situationen entwickeln.
Ich frage mich nach wichtigen Gesprächen, Arbeiten oder Treffen immer, wie ich mich fühle. Wenn ich mich schlechter fühle, suche ich den Auslöser, und überlege, was ich nun tun kann, damit ich mich besser fühle. Ich spüre ja wie es mir geht, ob ich mich aufgewühlt, glücklich oder frustriert fühle… Zugleich frage ich mich nach Treffen oder Gesprächen auch, wie es meinem Gegenüber geht. Ich entwickle  für mein Gegenüber ein Gefühl, ein Gespür. So lebe ich verbunden mit mir und bin nicht isoliert von meinem Umfeld.

Das ist der Unterschied zwischen den Regen spüren oder nur nass zu werden.